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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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erzählen. Ihr bemaltes Gesichtchen, mit dem sie zu ihm aufblickte, bekam einen so gebannten, faszinierten Ausdruck, daß eine Busenfreundin, die an einem der anderen Tische speiste, ganz grün vor Neid wurde und überzeugt war, der lieben kleinen Mabel werde soeben eine Wohnung in Paris, ein Daimler und ein Kollier für tausend Pfund angeboten. Die Folge war, daß sie sich mit ihrem Begleiter gründlich überwarf.
    »Sie sehen also«, sagte Wimsey, »daß es mir sehr viel bedeutet.«
    Die liebe kleine Mabel seufzte hingerissen.
    »Stimmt das auch alles? Haben Sie sich das nicht aus den Fingern gesogen? Das ist ja spannender als im Kino.«
    »Stimmt, aber Sie dürfen kein Wort weitersagen. Sie sind der einzige Mensch, der es weiß. Sie werden mich nicht an ihn verraten?«
    »An den? An diesen alten Knicker? Dem würde ich ganz was anderes erzählen! Ich spiele mit. Für Sie tue ich es. Es wird nicht ganz leicht sein, weil ich die Schere dazu nehmen muß, was wir gewöhnlich nicht tun. Aber das kriege ich schon hin. Verlassen Sie sich auf mich. Es werden allerdings keine großen sein. Er kommt nämlich ziemlich oft, aber ich gebe Ihnen, was ich bekommen kann. Und mit Fred, das regle ich auch. Er verlangt immer nach Fred. Und Fred macht das, wenn ich ihn bitte. Und was soll ich dann damit tun?«
    Wimsey zog einen Umschlag aus der Tasche.
    »Hier drin«, sagte er bedeutungsvoll, »befinden sich zwei kleine Döschen. Sie dürfen sie erst herausnehmen, wenn Sie die Sachen haben, denn sie sind vorbehandelt und chemisch rein, wenn Sie verstehen. Wenn es soweit ist, öffnen Sie den Umschlag, nehmen die Döschen heraus, tun die Nägel in das eine und die Haare in das andere, schließen sie wieder, stecken sie in einen frischen Umschlag und schicken ihn an diese Adresse. Alles klar?«
    »Ja.« Sie streckte begierig die Hand aus.
    »Wunderbar. Und kein Wort!«
    »Nicht – ein – Wort!« Sie machte eine Gebärde übertriebener Vorsicht.
    »Wann haben Sie Geburtstag?«
    »Oh, ich habe gar keinen. Ich werde nie erwachsen.«
    »Schön, dann kann ich Ihnen ja an jedem beliebigen Tag im Jahr ein Nichtgeburtstagsgeschenk schicken. Steht Ihnen Nerz, mein Herz?«
    »Nerz, mein Herz«, äffte sie ihn nach. »Sie sind wohl ein Dichter, wie?«
    »Sie inspirieren mich«, sagte Wimsey höflich.

22. Kapitel
    »Ich bin«, sagte Mr. Urquhart, »auf Ihren Brief hin gekommen. Ich habe mit Interesse gehört, daß Sie neue Informationen über den Tod meines unglücklichen Vetters haben. Natürlich werde ich Ihnen mit Freuden helfen, so gut ich kann.«
    »Danke sehr«, sagte Wimsey. »Bitte nehmen Sie Platz. Sie haben vermutlich schon gegessen? Aber Sie trinken doch sicher eine Tasse Kaffee. Sie mögen türkischen Mokka, soviel ich weiß. Mein Diener macht einen sehr guten.«
    Mr. Urquhart nahm das Angebot an und lobte Bunter, daß er die richtige Zubereitungsmethode für dieses sirupartige Getränk beherrschte, das dem Geschmack des Durchschnitts-Abendländers so zuwider ist.
    Bunter dankte ergebenst für das Kompliment und reichte ihm eine Schachtel mit diesen ebenso ekelerregenden türkischen Süßigkeiten, die einem nicht nur den Gaumen verkleistern und die Zähne zusammenkleben, sondern den, der sie ißt, auch noch mit einer Wolke weißen Puderzuckers einstäuben. Mr. Urquhart stopfte sich sofort das größte Stück in den Mund und murmelte kaum verständlich, daß es sich um die echte orientalische Version handle. Wimsey nahm mit abweisendem Lächeln ein paar Schlucke von seinem starken schwarzen Kaffee ohne Zucker und Milch und schenkte sich ein Glas Kognak ein. Bunter zog sich zurück, und Lord Peter klappte ein Notizbuch auf den Knien auf, sah auf die Uhr und begann mit seiner Erzählung.
    Zuerst rekapitulierte er des langen und breiten Philip Boyes’ Leben und Tod. Mr. Urquhart gähnte verstohlen, aß, trank und lauschte.
    Dann wandte Wimsey, wieder mit dem Blick zur Uhr, sich der Geschichte von Mrs. Wrayburns Testament zu.
    Mr. Urquhart, nicht schlecht überrascht, stellte die Kaffeetasse hin, wischte sich die klebrigen Finger am Taschentuch ab und machte große Augen.
    Dann fragte er:
    »Darf ich fragen, wie Sie an diese erstaunlichen Informationen kommen?«
    Wimsey winkte ab.
    »Die Polizei«, sagte er. »Es ist schon gut, daß wir eine Polizei haben. Erstaunlich, was die alles herausbekommt, wenn sie es darauf anlegt. Ich nehme nicht an, daß Sie etwas davon abstreiten wollen?«
    »Ich höre zu«, sagte Mr. Urquhart grimmig.
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