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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche
Autoren: Fritz J. Raddatz
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gleich, wohin das Kind läuft?
    HRDLICKA : Nein, ich glaube erstens einmal, daß meine Figuren am besten in meinem Atelier stehen. Es ist eine verrückte Behauptung, aber es ist so, weil sie in diesen Arbeitsprozeß eingebunden sind. Ich werde also immer weniger zum Ausstellungskünstler. Zum anderen habe ich gern Leute, die die Kunst wirklich lieben. Da freut es mich dann, wenn sie bei ihnen steht. Ich will auch zugestehen: Es ist nicht so, daß Kunst nur für sich besteht, sondern sie besteht aus ihren Anhängern, aus den Leuten, die sie vertreten, interpretieren und so weiter. Wir brauchen hier gar nicht Gottfried Benn zu zitieren über Rembrandt und den Geniebegriff. Aber ich muß sagen, daß fünfzig Prozent Anteil am Rembrandt die Leute haben, die ihn entdeckt haben oder die ihn gesammelt haben oder ganz gleich, welche Verdienste sie an ihm haben. Denn Sammeln ist ja auch ein Verdienst. Das ist die eine Seite. Das Weggeben selber ist sicher ein merkwürdiger Prozeß, besonders wenn die Sachen sich von einem entfernen – man wird ja älter, und dann ist das Jugendwerk nicht kopierbar. Meine Frau zum Beispiel ist eine ausgesprochen gehässige Verkäuferin. Sie haßt jeden Menschen, der etwas von mir will. Das ehrt sie, aber andererseits: ich muß ja produzieren. Es ist ein unauflöslicher Knoten. Ich bin wiederum froh, daß es Leute gibt, die aus eigenem Antrieb meine Sachen wollen. Bei öffentlicher Kunst allerdings ist es mir völlig wurscht, ob die Leute sie wollen oder nicht. Da bin ich dann fast gehässig. Da können die Leute noch so dagegen sein, daß etwas irgendwo steht, dann werd ich alles versuchen, daß es dort stehen bleibt und daß es nicht weggenommen wird und woanders hinkommt. Denn ich glaube, daß meine Kunst eben eine Kunst für die Öffentlichkeit ist. Ich hab aufgehört mit der Ausstellungskunst. Die Ausstellungskunst ist transportabel, sie wird hin und her geschleppt. Das bringt nichts. Ich steh lieber unwiderruflich an einem Punkt, außer sie zerstören es oder karren es ab.
    FJR : Stehst du auch deswegen ganz gerne an dem jeweiligen öffentlichen Platz, sei es in Wien, in Stuttgart, in Hamburg oder Wuppertal, damit du nicht stirbst? Hat das auch mit deiner Todesvorstellung zu tun – oder damit, daß du die Vergänglichkeit überlisten willst?
    HRDLICKA : Ich glaube, das kann man jedem Künstler nachsagen, daß er versucht, sich Unsterblichkeit einzukaufen. Ich hab mal etwas geschrieben über Canetti, daß er verrückt genug ist zu glauben, er sei nicht sterblich. Mein Artikel schließt damit, daß ich ihm wünsch – unsterblich ist er ja ohnehin, da er den Nobelpreis bekommen hat –, daß er diese Unsterblichkeit in die Nichtsterblichkeit eintauschen kann. Also die Nichtsterblichkeit kann man sich leider nicht erkaufen. Inwieweit Künstler mit der Unsterblichkeit spekulieren, ja, ich glaube, da gibt es viele Spekulationen. Wer Kinder zeugt, glaubt unsterblich zu sein, und die Künstler glauben es wiederum, da sie Kunst erzeugen – Literatur, Musik, alles beruht schon auf dieser Angst vor dem Tod. Das glaub ich schon.
    FJR : Ich frag natürlich nicht nur, um deine Eitelkeit abzuklopfen, denn wenn die nicht da wäre, würdest du nichts machen. Keiner, der irgend etwas macht, dürfte korrekterweise von sich sagen, er sei nicht eitel. Das ist es nicht. Meine Frage zielt auch auf eine mögliche Verzagtheit unserer Welt gegenüber, denn viele Künstler haben doch gerade jetzt das Gefühl, mein Gott, wir sind in einer anderen Phase der Menschheitsentwicklung angelangt. Das ist es, was Günther Anders meint, wenn er etwa ganz apodiktisch und genau sagt: «Es wird in die Luft gehen. Dieser Ball Erde wird zerschmelzen.» Es gibt Autoren, Schriftsteller, die sagen, deswegen alleine, weil der Impuls zum Unsterblichen gebrochen wird, wegen dieser Erkenntnis kann ich nicht mehr arbeiten. Spielt so etwas eine Rolle in deinem Gedanken- wie Produktionshaushalt?
    HRDLICKA : Es war, das kann ich nur sagen, eine Wende bei mir. Ich hab eingesehen, da wir alle sterblich sind, daß auch Kunst zerstörbar ist. Und wenn ich meine Kunst lieber im öffentlichen Raum aufstelle als in Museen, dann ist das die Erkenntnis, daß auch Kunst zerstörbar ist. Ich bin vergänglich, und die Menschen sind vergänglich, und die Kunst ist es auch. Das ist vielleicht wieder das ganz Interessante an der bildenden Kunst. Ihre Sterblichkeit. Die bildende Kunst hat etwas sehr Menschliches, die Musik und die Literatur sind
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