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Stahlstiche

Stahlstiche

Titel: Stahlstiche
Autoren: Fritz J. Raddatz
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sich jede Möglichkeit aus.
    FJR : Aber wo ist der Unterschied zur Bronze? Bisher hast du ja ganz wenig in Bronze gearbeitet. Es gibt zwar Bronzegüsse bestimmter Skulpturen von dir, aber du fängst eigentlich erst durch diesen Auftrag für das Hamburger Denkmal an, direkt in Bronze zu arbeiten. Warum plötzlich die Entscheidung, mit einem anderen Material zu arbeiten als mit Stein?
    HRDLICKA : Vor allem, weil ich ein Element darstellen wollte, das in Marmor nicht darzustellen ist, das Element des Feuers. Bronze und Feuer haben ja viel miteinander zu tun, denn ohne den Schmelzpunkt, ohne Feuer, ohne Hitze geht es nicht. Da ich den Hamburger Feuersturm machen wollte, war klar, daß ich mir jetzt nicht eine große Marmorplatte kaufen und Flammenzungen hineinmeißeln kann. Das wär mir einfach zu albern. Bisher war für mich der Rohstoff das Fleisch, und der Rohstoff ist zugleich der Höhepunkt, die Sternstunde ist der menschliche Körper, der Ideenträger Mensch. Und jetzt versuche ich etwas sehr Banales, so könnte man sagen, das Feuer. So hab ich versucht, das Feuer direkt zu übersetzen, indem ich die heiße Bronze aufgegossen und die Ergebnisse an eine von mir modellierte Wand angeschweißt, angeschmiedet habe und in diese Wand wiederum verbrannte Körper hineingegeben habe. Das heißt, die Bronze, die Hitze des Schmelztiegels ist übersetzt in die Kunst – was ich sonst nie gemacht habe. Verbrennen, Brand und Bronze hat eine ziemliche logische Folgerichtigkeit. Ich bin ja nicht dazu da, um mein Engelsdenkmal ewig zu wiederholen. Ich finde die Aufgabe, daß ich etwas ganz anders machen kann, sehr lustig.
    FJR : Wann fällt so eine Entscheidung bei jemandem, der in so verschiedenen Medien arbeitet? Wie entwickelt sich das: ich möchte das eigentlich als Zeichnung, oder ich möchte es mit diesem riesigen Kohlestift auf Papier bringen – oder ich möchte es gerade
nicht
als Zeichnung, sondern doch lieber als Graphik machen … Oder wiederum umgekehrt, auch keine Graphik, sondern eine kleinere Skulptur. Man denkt bei Hrdlicka immer: Mein Gott, es gibt nur diese Riesen aus Marmor, aber das stimmt ja nicht. Es gibt sowohl normal formulierte Portraits als auch kleinere Skulpturen, zum Beispiel diesen kleinen Kopf einer Sterbenden, eine ganz besonders eindringliche Arbeit. Wann fällt so eine Entscheidung? Könnte dieser Kopf der Sterbenden eventuell auch eine Zeichnung sein?
    HRDLICKA : Hier muß ich sagen, daß die Situation mir eigentlich keine Entscheidungsfreiheit gelassen hat. Die Portraitierte lag im Sterben – und hier muß ich noch einmal sagen, daß für mich die Skulptur immer das Wichtigste ist, was ich überhaupt machen kann. Ich bin doch ein verkrachter Maler, und aus dem heraus bin ich Bildhauer geworden. Und in der Situation der Sterbenden fand ich zu meinem Glück ein Stück Knetmasse, und statt daß ich daneben saß und ein paar Skizzen machte, habe ich fasziniert etwas gemacht, das eigentlich eine Totenmaske ohne Abguß ist – nur viel kleiner. Ich bin dagesessen und hab das Sterben beobachtet mit einem Stück Knetmasse in der Hand. Das war deswegen nicht nüchtern oder unmenschlich, sondern es geschah mit einer großen Anteilnahme. Ich habe den Prozeß des Sterbens einfach eingefügt, modelliert. Da gab es keine Entscheidungsfreiheit. Stein war aufgrund der Situation natürlich unmöglich, so schnell kann ich nicht schlagen, wie jemandes letzte Stunden verrinnen. Und es ist ja auch ein verrücktes Unterfangen gewesen. Ich hab modelliert, gezeichnet, hineingemacht – man sieht es ja noch an diesem Keil in der Hand. Ich bin Linkshänder – da hab ich das Stück Knetmasse gehabt und dann irgendwie modelliert und den Keil in der Hand gehabt. Hier habe ich wieder erfahren – und das finde ich ja das Interessante daran –, daß die Auseinandersetzung mit der Realität, mit dem Leben, eigentlich das stärkste Formdiktat und die stärkste Formerfindung hervorrufen muß. Da war diese Sterbestunde für mich auch eine Sternstunde.
    FJR : Wobei ich mich, ehrlich gesagt, immer gegen diese Chiffre «Naturalismus» wehre, obwohl du sie ja selber auf deine Arbeit anwendest. Für mich ist Naturalismus fast ’ne Abklatschsache, ohne Geheimnis. Realismus ist ja etwas anderes als Naturalismus. Warum bestehst du eigentlich darauf, vieles oder überhaupt den Grundzug deiner Arbeit naturalistisch zu nennen? Das ist eine völlige Neufassung des Begriffs Naturalismus – für mich.
    HRDLICKA : Der alte
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