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Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Autoren: Armistead Maupin
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Kellner mit der Pizza kam.
    »Ahm … is was, Kleiner?«
    Michael wischte sich hastig mit der Serviette übers Gesicht und nahm sein Essen in Empfang. »Nein, alles in Ordnung. Die Pizza sieht lecker aus.«
    Der Kellner nahm es ihm nicht ab. Er blieb einen Augenblick mit verschränkten Armen stehen, zog sich dann einen Stuhl heran und setzte sich Michael gegenüber. »Wenn bei dir alles in Ordnung ist, bin ich Joan Collins.«
    Michael lächelte. Er mußte unwillkürlich an eine Kellnerin denken, die er vor Jahren in Orlando getroffen hatte. Auch sie hatte ihn »Kleiner« genannt, ohne seinen Namen zu kennen. Dieser Bursche hier trug eine schwarze Lederweste, und an seiner Levi’s hing ein Schlüsselbund, doch er hatte genau die gleiche Art, auf Fremde zuzugehen. »Wieder mal so ein Tag?« fragte er.
    »Wieder mal so ein Tag«, sagte Michael.
    Der Kellner schüttelte langsam den Kopf. »Und wir sind hier, am falschen Ende der Stadt, während Betty im Trader Vic’s beim Dinner sitzt.«
    Michaels Herz machte einen Sprung. »Bette Davis?«
    Der Kellner lachte. »Schön wär’s. Betty die Zweite, Kleiner. Die Queen.«
    »Oh.«
    »Sie harn ihr ein Glücksplätzchen serviert … und sie hat nicht gewußt, was es ist. Ist das zum Aushalten?«
    Michael lachte in sich hinein. »Du weißt nicht zufällig, was auf dem Zettelchen stand?«
    »Ähm …« Der Kellner schrieb die Worte mit dem Zeigefinger in die Luft. »Du … wirst … sehr … reich … werden.«
    »Klar.«
    Der Kellner hob beide Hände. »Ich schwör’s. Nancy Reagan hat in ihrem Plätzchen denselben Spruch gekriegt.«
    Michael nippte an seinem Wein. »Wo hast du das her?« Der Bursche war furchtbar nett, aber der Text, den er drauf hatte, war verdächtig.
    »Vom Fernseher in der Küche. Mary Ann Singleton berichtet schon den ganzen Abend darüber.«
    »Ehrlich?« Gut für sie, dachte er, gut für sie. »Ist eine alte Bekannte von mir.« Es würde ihr gefallen, wenn sie wüßte, daß er mit ihr angegeben hatte.
    »Na, dann sag ihr mal, ich find sie gut.« Der Kellner streckte ihm die Hand hin. »Ich heiße übrigens Michael.«
    Michael schüttelte ihm die Hand. »Ebenfalls.«
    »Michael?«
    »Genau.«
    Der Kellner verdrehte die Augen. »Manchmal glaub ich, die Hälfte aller Schwulen auf der Welt heißt Michael. Wer hat bloß diesen Scheiß von wegen Bruce erfunden?« Er stand unvermittelt auf und gab sich wieder professionell. »Also, paß auf dich auf, Kleiner. Vielleicht sehn wir uns mal wieder. Arbeitest du hier in der Nähe?«
    Michael schüttelte den Kopf. »Eigentlich nicht. Nur heute nachmittag.«
    »Wo?«
    »Gegenüber. Im Switchboard.«
    »Ach ja? Da hat mein Freund Max mal ’ne Weile gearbeitet. Er fand es sehr anstrengend.«
    »Ist es auch«, sagte Michael.
    »Da gab’s einen, der hat jeden zweiten Nachmittag angerufen, wenn seine Frau im Aerobic-Kurs war. Meistens wollte er, daß Max … na ja … den kerligen Fernfahrertyp mimt. Max sagte, der Bursche hätte ewig gebraucht, bis es ihm kam. Und er hat immer dasselbe gesagt. ›Ja, so is gut, schlenker mir deine großen Eier ins Gesicht.‹ Als ehrlich, wie soll man einem Typ am Telefon die Eier ins Gesicht schlenkern …«
    »Falsche Hausnummer«, sagte Michael und spürte, wie ihm ein mattes Lächeln in die Mundwinkel kroch.
    Der Kellner blinzelte ihn ratlos an. »Dial-a-Load?«
    Michael schüttelte den Kopf. »Das Aids-Telefon.«
    »Oh.« Die Finger des Kellners glitten an seiner Brust hoch und verharrten vor seinem Mund. »Gott, ich bin vielleicht ein Idiot.«
    »Nein, bist du nicht.«
    »Da ist so eine Telefonsexagentur, direkt über der neuen Sparkassenfiliale, und ich dachte … Gott, ist mir das peinlich.«
    »Laß man«, sagte Michael. »Ich find es lustig.«
    Die Miene seines Namensvetters drückte erst Dankbarkeit aus, dann Verwirrung und schließlich so was wie Sorge. Michael wußte, woran der andere dachte. »Ich hab es nicht«, ergänzte er. »Ich mach bloß als Ehrenamtlicher Telefonberatung.«
    Ein langes Schweigen folgte. Als der Kellner wieder etwas sagte, war seine Stimme belegt. »Der Lover von meinem Ex ist letzten Monat dran gestorben.«
    Eine Bekundung von Mitgefühl schien irgendwie unangebracht, also nickte Michael nur.
    »Es macht mir wirklich angst«, sagte der Kellner. »Ich hab die Folsom Street komplett aufgegeben. Ich geh nur noch in Pulloverbars.«
    Michael hätte ihm sagen können, daß die Krankheit auch auf Kaschmirpullover keine Rücksicht nimmt, aber für ein
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