Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen

Titel: Stadtgeschichten - 04 - Tollivers Reisen
Autoren: Armistead Maupin
Vom Netzwerk:
hinten in das weiche Polster sinken. In so einer Situation, sagte sie sich, war ein Gefühl von Lächerlichkeit das letzte, womit man sich aufhielt.
    Sie waren wieder in der Wohnung, als sie endlich den Hut abnahm. »Die Rollschuhe sind von Mouse«, sagte sie. Sie bemühte sich um einen beiläufigen Tonfall.
    »Was für Rollschuhe?« Er saß in seinen Boxershorts auf der Bettkante.
    »Im Wohnzimmer.« Sie vermied es, ihn anzusehen, indem sie vorgab, den Hut in seiner Schachtel zu verstauen.
    Er stand auf und ging aus dem Zimmer. Er blieb so lange weg, daß sie aufhörte, ihre Haare zu bürsten, und nach ihm schaute. Er saß im Lehnstuhl und starrte ins Leere. Die Rollschuhe lagen vor seinen Füßen. Er sah kurz zu ihr auf. »Das sind die von Jon, nicht?«
    Sie nickte, ging aber nicht zu ihm.
    Er lächelte wehmütig und schüttelte langsam den Kopf. »Meine Güte«, sagte er leise. Er wischte einen imaginären Fussel von der Armlehne. »Geht’s Michael einigermaßen?« fragte er.
    »Einigermaßen«, antwortete sie.
    Brian schaute auf die Rollschuhe. »Er denkt an alles, wie?«
    »Mhm.« Sie ging zu ihm und setzte sich zwischen seinen Beinen auf den Boden. Er strich ihr mechanisch übers Haar und schwieg fast eine Minute lang.
    Schließlich sagte er: »Ich hätte heute fast meinen Job verloren.«
    »Was?«
    »Schon gut. Nichts passiert. Ich hab es wieder eingerenkt.«
    »Was war denn?«
    »Ach … ich hab so einem Kerl eine verpaßt.«
    »Brian.« Sie wollte nicht zu vorwurfsvoll klingen, aber solche Vorfälle schienen sich zu häufen.
    »Keine Sorge«, sagte er, »es war kein Kunde. Nur dieser neue Kellner. Jerry.«
    »Den kenne ich nicht.«
    »Doch. Der mit dem Jordache-Look.«
    »Oh. Ja.«
    »Er hat mich den ganzen Tag genervt. Mit einem kleinlichen Scheißdreck nach dem anderen. Dann hat er gesehn, wie ich eine Fritte gegessen hab … von einem Teller, der grad abgeräumt worden war … und da hat er gesagt: ›Scheiße, Mann, jetzt hast du dich reingeritten.‹ Ich frag ihn, was das heißen soll, und er sagt: ›Das war ein Teller von ’ner Schwuchtel, Blödmann … deine Tage sind gezählt.‹«
    »Na toll.«
    »Also hab ich ihn geplättet.«
    Sie verdrehte den Kopf nach hinten und starrte ihn an. »Meinst du wirklich, das war nötig?«
    »Mir hat es großen Spaß gemacht«, meinte er schulterzuckend.
    »Brian … die haben dir doch gesagt, wenn so was noch mal vorkommt …«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Sie schwieg. Diese mickrigen John-Wayne-Szenen entstanden ganz einfach aus seinem Frust wegen des unbefriedigenden Jobs. Wenn sie sich nicht in acht nahm, würde er ihre Mißbilligung zum Vorwand nehmen, um sie daran zu erinnern, daß es für ihn nur einen Job gab, der ihm etwas bedeutete: Vater eines Kindes zu sein.
    »Hast du mal 1984 gelesen?« fragte er.
    Die Frage machte sie mißtrauisch. »Vor Jahren. Warum?«
    »Erinnerst du dich an den Typ darin?«
    »Vage.«
    »Weißt du, was mir von ihm am meisten in Erinnerung geblieben ist?«
    Sie fühlte sich unbehaglich. »Keine Ahnung. Daß sie ihm Ratten übers Gesicht laufen ließen?«
    »Daß er vierzig war«, sagte er.
    »Und?«
    »Ich war sechzehn, als ich es gelesen habe, und ich weiß noch, wie alt mir der Mann vorkam. Und mir wurde klar: 1984 würde ich vierzig sein, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie es sein würde, schon so hinüber zu sein. Tja … und jetzt ist 1984 fast da.«
    Sie studierte einen Augenblick seinen Gesichtsausdruck. Dann nahm sie seine Hand, die auf seinem Knie lag, und drückte einen Kuß darauf. »Ich dachte, wir hätten uns geeinigt, daß ein Klimakterium in der Familie genug ist.«
    Er zögerte und sagte dann lachend: »Okay, ist gut. Faires Angebot.«
    Sie spürte, daß die Krise vorbei war. Er schien zu wissen, daß es im Augenblick nicht angebracht war, das Thema zu vertiefen, und sie war für den Aufschub mehr als dankbar.

Annas Familie
    Als Michael zum Frühstück hinunterkam, roch es in Mrs.
    Madrigals Küche nach frischem Kaffee und brutzelnden Speckstreifen. Die Regenschlieren an dem hohen Fenster über der Spüle verstärkten noch die verschwörerische Gemütlichkeit, die selbst flüchtige Besucher in ihren Bann zog. Er setzte sich an den kleinen, weiß emaillierten Tisch der Vermieterin und schnupperte.
    »Dieser Kaffee duftet himmlisch«, sagte er.
    »Es ist arabischer Mokka«, antwortete sie. »Das Sinsemilla der Kaffees.« Sie riß einen Streifen Küchenkrepp ab und legte den Speck zum Entfetten darauf.
    Er
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher