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Stadt ohne Namen

Stadt ohne Namen

Titel: Stadt ohne Namen
Autoren: H.P. Lovecraft
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Schlaf und erregte meine Aufmerksamkeit. Er hatte sich schon ein paarmal während der zweiten Hälfte der ersten Stunde unruhig auf dem Feldbett umgedreht, aber jetzt atmete er ungewöhnlich unregelmäßig, indem er gelegentlich einen Seufzer ausstieß, der mehr etwas von einem erstickten Stöhnen an sich hatte. Ich beleuchtete ihn mit meiner elektrischen Taschenlampe und sah, daß er das Gesicht abgewandt hatte, deshalb stand ich auf und ging auf die andere Seite des Feldbettes, ich knipste das Licht erneut an, um zu sehe ob er Schmerzen habe. Was ich sah, enervierte mich im Hinblick auf seine Geringfügigkeit in überraschender Weise. Es muß lediglich die Verbindung eines merkwürdigen Umstandes mit dem düsteren Charakter des Ortes und unsere Aufgabe gewesen sein, aber sicherlich war der Umstand an sich weder schrecklich noch unnatürlich. Es war nur, daß der 145
    Gesichtsausdruck meines Onkels, der zweifellos von merkwürdigen Träumen gequält wurde, für ihn durchaus nicht charakteristisch schien. Sein gewöhnlicher Gesichtsausdruck war von freundlicher, wohlerzogener Ruhe, während jetzt verschiedene Empfindungen in ihm zu kämpfen schienen. Ich glaube, im ganzen war es diese Verschiedenheit, die mich hauptsächlich bewegte. Mein Onkel, der in zunehmender Verstörtheit nach Luft rang und sich herumwarf und dessen Augen sich langsam öffnete, schien nicht nur einer, sondern viele Menschen zu sein und machte den Eindruck der Entfremdung gegen sein eigenes Selbst.
    Plötzlich begann er zu murmeln, und als er sprach, gefiel mir das Aussehen seines Mundes und seiner Zähne nicht. Die Worte waren zunächst unverständlich, und dann erkannte ich − mit außerordentlichem Schrecken −
    etwas an ihnen, das mich mit kalter Furcht erfüllte, bis ich mich des Bildungsumfanges meines Onkels und der endlosen Übersetzungen erinnerte, die er von anthropologischen und altertumswissenschaftlichen Artikeln in der Revue des Deux Mondes gemacht hatte. Denn der ehrwürdige Elihu Whipple murmelte in Französisch, und die wenigen Sätze, die ich verstehen konnte, schienen mit den dunkelsten Mythen in Zusammenhang zu stehen, die er sich aus dem berühmten Pariser Magazin angeeignet hatte. Plötzlich brach auf der Stirn des Schläfers Schweiß aus, und er sprang halbwach abrupt in die Höhe.
    Das französische Durcheinander ging in einen Schrei in englisch über, und die heisere Stimme brüllte erregt:
    "Mein Atem, mein Atem!« Dann wurde er völlig wach, und während sein Gesichtsausdruck wieder normal wurde, ergriff mein Onkel meine Hand und begann, einen Traum zu erzählen, dessen wichtigen Kern ich nur mit einer Art Ehrfurcht erahnen konnte.
    Er sagte, er sei von einer Anzahl durchschnittlicher Träume in einen Schauplatz hinübergeschwebt, dessen Fremdartigkeit an nichts erinnerte, was er je gesehen hatte. Es war von dieser Welt und dennoch wieder nicht − ein schattenhaftes, räumliches Durcheinander in dem er Bestandteile vertrauter Dinge in fremder und beunruhigender Zusammenstellung sah. Da war die Vorstellung merkwürdig ineinanderfließender Bilder, bei denen eines das andere überdeckte; eine Anordnung, in der Umstände von Zeit und Raum aufgelöst schienen und sich auf widersinnigste Weise mischten. In diesem kaleidoskopartigen Strudel phantastischer Bilder waren gelegentliche Schnappschüsse, wenn man den Ausdruck gebrauchen darf, von einzigartiger Klarheit, aber unerklärlicher Verschiedenartigkeit.
    Einmal glaubte mein Onkel, in einer nachlässig gegrabenen Grube zu liegen, während eine Menge wütender Gesichter, eingerahmt von üppigen Locken, mit Dreispitzhüten finster auf ihn heruntersah. Dann wieder schien er sich im Inneren eines Hauses zu befinden − eines offenbar alten Hauses −, aber die Einzelheiten und die Bewohner wechselten ständig, und er konnte bezüglich der Gesichter, der Möbel, nicht einmal seiner selbst sicher sein, da sogar die Türen und Fenster sich in dem gleichen fließenden Zustand zu befinden schienen wie die vermutlich mehr beweglichen Gegenstände. Es war komisch − verdammt komisch, und mein Onkel sprach beinah verlegen, als ob er erwarte, daß man ihm nicht glaube, als er erklärte, daß viele der fremden Gesichter 146
    unmißverständlich die Züge der Harris−Familie getragen hätten. Die ganze Zeit hatte er ein Gefühl des Erstickens, als ob ein nicht zu bestimmendes Etwas sich in seinem Körper ausbreite und sich seiner wichtigen Lebensvorgänge zu bemächtigen trachte.
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