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Stadt der Masken strava1

Stadt der Masken strava1

Titel: Stadt der Masken strava1
Autoren: hoffman
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Torrone abzuholen und zum größten Lagunenfest des Jahres mitzunehmen. Seit der Morgendämmerung war Arianna bereits wach.
    Wie alle Anwohner der Lagune war sie immer bei der Vermählung mit dem Meer dabei gewesen, seit sie ein kleines Kind war, aber dieses Jahr hatte sie einen besonderen Grund, warum sie so aufgeregt war. Sie hatte nämlich einen Plan. Und die Dinge, die sie in ihrer schweren Tasche verstaut hatte, waren ein Teil davon.
    »Das mit deinen Haaren tut mir ja so Leid«, sagte Luciens Mutter und biss sich auf die Lippe, während sie sich die übliche tröstende Geste verkniff, ihrem Sohn über den Lockenkopf zu streichen. Es gab keine Locken mehr und sie wusste auch nicht, wie sie ihn oder sich selbst trösten sollte. »Ist schon in Ordnung, Mum«, sagte Lucien. »Das ist doch ganz in Mode. Viele Jungs in der Schule haben sich den Kopf rasiert.«

    Dass er gar nicht gesund genug war, um in die Schule zu gehen, erwähnten sie beide nicht. Aber dass ihm der Verlust seiner Haare nicht allzu viel ausmachte, stimmte tatsächlich. Was ihm wirklich zu schaffen machte, war seine Müdigkeit.
    Sie war ganz anders als die Müdigkeit, die er sonst gekannt hatte. Nicht wie die Erschöpfung nach einem anständigen Fußballspiel oder nach fünfzig Längen im Schwimmbad. Es war schon lange her, seit er an dem einen oder dem anderen hatte teilnehmen können.
    Es war, als ob er Vanillepudding in den Adern hatte statt Blut, denn er wurde schon müde, wenn er sich im Bett aufzusetzen versuchte. Wenn er nur eine halbe Tasse Tee trank, kam ihm das so anstrengend vor, wie den Mount Everest zu erklimmen.
    »Es wirkt sich nicht bei jedem so heftig aus«, hatte die Krankenschwester gesagt. »Lucien hat leider Pech. Aber das beeinflusst die Wirkung der Behandlung nicht.« So ausgelaugt und entkräftet, wie er sich vorkam, konnte Lucien eigentlich gar nicht mehr sagen, ob es die Behandlung oder die Krankheit selbst war, weswegen er sich so schrecklich fühlte. Und er merkte, dass seine Eltern das auch nicht wussten. Das machte ihm überhaupt am meisten zu schaffen: die beiden so voller Angst zu erleben. Es schien, als ob sich die Augen seiner Mutter jedes Mal, wenn sie ihn ansah, mit Tränen füllten.
    Und was Dad anging… Luciens Vater hatte sich nie richtig mit ihm unterhalten, bevor die Krankheit ausgebrochen war, auch wenn sie sich ganz gut verstanden hatten. Sie hatten Sachen zusammen unternommen: schwimmen gehen, ein Fußballspiel ansehen, gemeinsam vorm Fernseher sitzen. Erst seit sie nichts mehr zusammen unternehmen konnten, fing Dad an mit ihm zu reden.
    Er brachte Lucien sogar Geschichten aus der Bücherei mit und las ihm vor, weil Luciens Hände nicht kräftig genug waren, um ein Buch zu halten. Das gefiel Lucien. Bücher, die ihm bereits vertraut waren, wie »Der kleine Hobbit« oder »Der Herr der Ringe« wurden abgelöst von Büchern, die Dad noch aus seiner Kindheit und Jugend kannte, wie »Die Schatzinsel« oder die »James Bond«-Romane. Lucien verschlang sie alle. Dad hatte es irgendwie geschafft, für die jeweiligen Romanfiguren verschiedene Stimmen zu erfinden. Manchmal fand Lucien, dass es die Krankheit fast wert gewesen war, weil er diesen ganz neuen, andersartigen Dad kennen gelernt hatte, der mit ihm redete und ihm Geschichten vorlas. Ob er wohl wieder zu dem alten Dad werden würde, wenn die Behandlung anschlagen und die Krankheit verschwinden würde? Aber solche Gedanken machten Lucien Kopfschmerzen.
    Nach der letzten Chemotherapie war Lucien noch zu müde, um sich zu unterhalten. Außerdem hatte er Halsschmerzen. An diesem Abend hatte Dad ihm ein Notizbuch mit elfenbeinfarbenen Seiten und einem Einband aus schönem marmoriertem Papier mitgebracht, auf dem dunkelrote und grüne Schlieren miteinander verschwammen, sodass Lucien die Augen schließen musste. »Im Buchladen habe ich nichts Nettes gefunden«, sagte Dad gerade. »Aber das hier war ein glücklicher Zufall. Wir haben ein altes Haus in der Waverley Road ausgeräumt, ganz in der Nähe deiner Schule, und die Besitzerin sagte, wir sollten den ganzen Papierkram in die Müllmulde werfen. Da ist mir das hier aufgefallen und ich habe es herausgefischt. Es ist noch ganz unbeschrieben und ich dachte, wenn ich es hier neben dir auf dem Nachttisch lasse, dann könntest du reinschreiben, was du sagen möchtest, wenn dein Hals wehtut.«
    Dads Stimme brummte beruhigend wie ein Hintergrundgeräusch; er erwartete gar nicht, dass Lucien antwortete. Er erzählte
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