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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen
Autoren: David Ambrose
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jede Mühe. Etwas an der Art, wie sein dunkler, durch die Brille augenloser Blick sie unbewegt musterte, ließ sie innehalten.
    »Schon besser«, sagte er. »Niemand will dir etwas zuleide tun.«
    »Wer zum Teufel sind Sie?«, fragte sie. Sie war so völlig außer Atem, dass sie die Hälfte der Worte verschluckte.
    »Das spielt keine Rolle.« Sie ärgerte sich darüber, wie er ihre Frage und damit auch sie selbst als unwichtig abtat. Wer zum Teufel war dieser Kerl, der sich erdreistete, so mit ihr zu sprechen?
    »Wissen Sie eigentlich, mit wem Sie reden?«, schnauzte sie ihn an.
    »Ich weiß sehr wohl, wer du bist«, gab er zurück. Irgendwo um die verborgenen Augen nahm sie eine winzige Bewegung wahr, und ein Zucken dieser allwissenden Nase.
    Da biss sie ihn. Sie versenkte die Zähne tief in den Rücken der Hand, die ihr rechtes Handgelenk umklammerte. Aufheulend vor Schmerz ließ er los. Ohne sich noch einmal umzusehen, rannte sie davon, torkelte um Ecken und lief an den weißen Mauern der Studios entlang, bis sie schließlich die niedrigen, weitläufigen, im Kolonialstil gehaltenen Gebäude mit Fensterläden und gepflegten Rasenrabatten erreichte, in denen die Verwaltung untergebracht war.
    Merkwürdigerweise war kein Mensch dort. Noch nie hatte sie ein Studio erlebt, wo nicht überall Leute zu Fuß oder auf kleinen Golfwagen herumwuselten, sich eifrig besprachen, Botschaften herumtrugen und zu Meetings eilten. Selbst an Feiertagen war immer jemand da. Aber jetzt schien es so, als wäre das gesamte Gelände aus einem ihr unbekannten Grund geräumt worden.
    Sie bog um eine weitere Ecke, wo sie eine Außentreppe entdeckte, die in die obere Etage eines der Verwaltungsgebäude führte. Sie stürmte hinauf, griff nach dem Türknauf- und erstarrte.
    Von ihrem Standort aus konnte sie einen Teil des Haupteingangstores zu den Studios sehen. Während sie durch das Labyrinth aus Gässchen gelaufen war, hatte sie ein paar Dinge wahrgenommen, die ihr einen Verdacht vermittelten, in welchem Studio sie sich befand. Das berühmte Tor bestätigte ihre Vermutungen.
    Jenseits der Begrenzungsmauer sah sie Downtown L. A. Doch irgendetwas kaum Fassbares, etwas, was sie nicht benennen konnte, stimmte nicht. Sie hätte über Autos, Stadtautobahnen und viele Blocks hässlicher Häuser hinweg auf eine Skyline blicken müssen, die ständig in diesen gelblichen Dunst gehüllt war, der, so dachte sie, immer so aussah, wie schlechter Atem aussehen müsste.
    Stattdessen blickte sie auf eine strahlende Stadt aus Glas, Chrom, Marmor und Stein. Die Luft war kristallklar, sodass sie zum ersten Mal, seit sie denken konnte, die Berge am Horizont wahrnahm. Aber nicht nur, dass die Skyline sich gestochen scharf vom wolkenlosen Himmel abhob – sie hatte sich auch verändert. Die Wolkenkratzer waren höher und das Stadtzentrum schien größer.
    Sie fand kaum Zeit, ihre Beobachtungen infrage zu stellen, denn schon kamen die Stimmen der Verfolger wieder gefährlich nah. Ihre Finger lagen noch immer auf dem Türknauf. Sie drückte, und im nächsten Augenblick rannte sie einen langen, mit Teppich ausgelegten Flur hinunter, der in seiner relativen Vertrautheit beruhigend wirkte.
    An den Wänden hingen Porträts von Filmschauspielern und Szenenfotos aus Filmen, die sie fast alle kannte. Irgendwo vor ihr knallte eine Tür zu, dann eine hinter ihr. Sie durchsuchten das Gebäude. Zwar glaubte sie nicht, dass sie entdeckt worden war, aber sie saß in der Falle. Sie stieß die nächstgelegene Tür auf und stand in einem Chefbüro. Am einen Ende befand sich ein riesiger, bis auf zwei Telefonapparate und eine Kladde völlig leerer Schreibtisch. Am anderen Ende hatte man für weniger formelle Gespräche einige Sessel und Sofas um einen Couchtisch gruppiert. Die Wände waren mit Filmpostern, Fotos und Drucken aus dem Los Angeles Museum of Art geschmückt.
    Sie suchte nach einer Fluchtmöglichkeit. Wenn dies hier ein Film wäre, dachte sie unwillkürlich, dann gäbe es vor dem Fenster ein niedriges Dach, von dem aus man sich ungefährdet in einen Heuhaufen oder einen Matratzenberg fallen lassen konnte. Aber es war kein Film und es gab keinen Ausweg. Und soweit sie feststellen konnte, gab es auch keine Möglichkeit, sich zu verstecken.
    Doch dann entdeckte sie in Kniehöhe eine herausnehmbare Klappe über dem Schacht der Klimaanlage unter dem Fenster. Man erkannte sie nur an einem haarfeinen Spalt in der weiß getünchten Wand. Sie fand den Öffnungsmechanismus und
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