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Stadt der Lügen

Stadt der Lügen

Titel: Stadt der Lügen
Autoren: David Ambrose
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bei den Geräten um die Projektoren handelte, konnte sich aber immer noch nicht erklären, welcher Hintergrund für die Projektion benutzt worden war.
    Nur wenige Sekunden, nachdem die Welt verschwunden war, erstarben auch ihre Geräusche. In der plötzlichen Stille hörte sie rennende Füße, die auf sie zueilten. Außerdem erklangen Stimmen. Verärgerte, erschrockene Männerstimmen.
    Sie sah sich nach einem Ausgang um. Da es überall nur dunkel war, versuchte sie, sich in eine Richtung zu entfernen, aus der die Männer nicht zu kommen schienen. Einen Schuh hatte sie bereits verloren, nun streifte sie auch den anderen ab und lief barfuß los. Das scharfe Geräusch zerreißenden Stoffes drang an ihr Ohr: Das enge Kleid war bis über die Knie aufgeplatzt. Mit angehaltenem Atem schlängelte sie sich durch die schwere schwarze Dekoration. Sie verdrängte die aufsteigende Panik. Die Dunkelheit wollte und wollte nicht aufhören, schien für immer und ewig weiterzugehen.
    Plötzlich wurde es hell. Eine einzelne Birne baumelte über einem Halbkreis aus schwarzen Vorhängen, in dessen Mitte man eine kleine Bühne errichtet hatte. Doch es war das, was auf der Bühne aufgebaut war, das ihre besondere Aufmerksamkeit erregte. Sie musste es eine Zeit lang betrachten, ehe sie sich ganz sicher war. Und dann stieg sie, ohne die Augen davon abzuwenden, die Holzstufen empor, die »Jack« vor kurzem erklommen hatte, und stand vor dem Pult und den vielen Mikrofonen, wo sie vor nicht allzu langer Zeit (wie lang mochte es her sein?) »Happy Birthday« gesungen hatte.
    Langsam drehte sie sich um und starrte wie betäubt in den verschwundenen Saal, der eben noch mit zwanzigtausend Menschen bevölkert gewesen war, die lachend, fröhlich und beglückt mit ihr zusammen den Geburtstag ihres bezaubernden Präsidenten besungen hatten. Doch alles, was sie sehen konnte, waren noch mehr dieser kameraähnlichen Dinger auf ihren dreibeinigen Stativen. Über den Geräten hingen an dünnen Kabeln ein halbes Dutzend winziger Spots, von denen sie angesichts der Tatsache, wie sehr sie geblendet hatten, annahm, dass sie deutlich stärker waren, als ihre Größe vermuten ließ.
    Erst als der Schock des Wiedererkennens nachließ, schlug die Welle der Fragen über ihr zusammen: Warum? Wo? Wie? Wo lag der Sinn des Ganzen? War sie übergeschnappt? Bildete sie sich das alles nur ein? War das vielleicht die Erklärung?
    Sie blickte an sich hinunter, sah das zerrissene, mitgenommene Kleid, ihre bloßen, staubigen Füße und dachte an Aschenputtel. Sie spürte ihr wirres Haar und ihr zerlaufenes, verschmiertes Make-up. Wahrscheinlich sah sie zum Fürchten aus. Ein Laut drang aus ihrer Kehle; es war ein Mittelding zwischen Lachen und Schluchzen.
    »Sie ist hier«, hörte sie jemanden rufen. »Auf der Bühne des Garden.«
    Am Rand ihres Gesichtsfeldes nahm sie eine flüchtige Bewegung wahr, auf die sie sofort reagierte. Sie sprang von der niedrigen Bühne und tauchte erneut in die dicken, schwarzen Tücher ein; sie kam sich vor wie die Heldin eines B-Movies, die sich einen Weg durch den Studiodschungel kämpfte.
    Dieses Mal war es noch beängstigender. Sie konnte ihre näher kommenden Verfolger rings um sich hören. Jede Sekunde erwartete sie, in die Dunkelheit gezerrt zu werden. Als sie sich in einem der unsichtbaren Tücher verfing, schrie sie unwillkürlich auf. Der Stoff schien sich eng um sie zu schlingen.
    Sie kämpfte sich frei, stolperte rückwärts und prallte gegen etwas Flaches, das wankte und umfiel. Als sie aufblickte, fand sie sich im Bad ihrer Umkleidekabine wieder, dem jetzt eine Wand fehlte. Auf der Wand stand sie. Sonst hatte sich nichts verändert. Immer noch waren da der Spiegelschrank, der Hocker und auf dem Hocker ihre kleine Reiseapotheke mit den Tabletten.
    Sie stürzte sich mit der Verzweiflung eines Drogenabhängigen nach seiner Spritze auf das kleine Plastik-Behältnis – eine geschundene Seele auf der Suche nach Erlösung. Mit zitternden Fingern wühlte sie die Phiolen und Fläschchen zweimal komplett durch, ehe ihr mit kaltem Schauder klar wurde, dass sie kein Medikament besaß, weder Aufputsch- noch Beruhigungsmittel, weder Tranquilizer noch Stimulans noch Vitamin, das in der Lage gewesen wäre, Einfluss auf den surrealen Albtraum zu nehmen, dem sie sich ausgesetzt fühlte. Es gab nichts zwischen ihr und dem, was da geschah. Sollte es sich um eine Halluzination handeln – auch wenn sie nicht wusste, wieso oder warum – dann war
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