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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas
Autoren: Paul Auster
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Zufall verwickelt worden war. Er ließ ihn nicht mehr los, sagte er, und er wollte meinen Rat hören, was er tun solle. Nachdem ich ihn zu Ende angehört hatte, ereiferte ich mich darüber, daß er Quinn mit solcher Gleichgültigkeit behandelt hatte. Ich machte ihm Vorwürfe, weil er an den Ereignissen nicht stärker teilgenommen hatte, weil er nichts unternommen hatte, um einem Mann zu helfen, der sich so offensichtlich in Schwierigkeiten befand. Auster schien sich meine Worte zu Herzen zu nehmen, ja, er sagte, eben deshalb habe er mich zu sich gebeten. Er hatte sich schuldig gefühlt und mußte sein Gewissen erleichtern. Er sagte, ich sei der einzige Mensch, dem er trauen könne. Er hatte die letzten Monate damit verbracht, Quinn zu suchen, aber ohne Erfolg. Quinn lebte nicht mehr in seiner Wohnung, und alle Versuche, Virginia Stillman zu erreichen, waren fehlgeschlagen. Da schlug ich vor, die Stillman-Wohnung aufzusuchen. Irgendwie sagte mir mein Gefühl, daß Quinn zuletzt dort angelangt sein mußte. Wir zogen unsere Mäntel an, gingen hinaus und nahmen ein Taxi zur East 69th Street. Der Schnee fiel seit einer Stunde, und die Straßen waren schon gefährlich glatt. Wir hatten keine Mühe, in das Gebäude zu kommen - wir schlüpften mit einem der Bewohner durch die Tür, der gerade heimkehrte. Wir gingen hinauf und fanden die Tür zur früheren Stillman-Wohnung. Sie war unverschlossen. Wir traten vorsichtig ein und entdeckten eine Reihe kahler leerer Räume. In einem kleinen Zimmer ganz hinten, das makellos sauber war wie alle anderen, lag das rote Notizbuch auf dem Boden. Auster hob es auf, blätterte kurz darin und sagte, es sei Quinns. Dann gab er es mir und sagte, ich solle es behalten. Das Ganze habe ihn so sehr mitgenommen, daß er Angst davor habe, es selbst aufzubewahren. Ich sagte, ich wolle es verwahren, bis er bereit sei, es zu lesen, aber er schüttelte den Kopf und sagte, er wolle es nie wiedersehen. Dann verließen wir das Haus und gingen in den Schnee hinaus. Die Stadt war nun ganz weiß, und der Schnee fiel weiter, als wollte er nie mehr aufhören.
    Was Quinn betrifft, ist es mir unmöglich zu sagen, wo er jetzt ist. Ich habe das rote Notizbuch so gründlich studiert, wie ich nur konnte, und alle Ungenauigkeiten dieser Geschichte müssen mir zum Vorwurf gemacht werden. Es gab Augenblicke, in denen der Text schwer zu entziffern war, aber ich habe mein Bestes getan und mich aller Deutungen enthalten. Das rote Notizbuch ist natürlich nur die halbe Geschichte, wie jeder empfindsame Leser verstehen wird. Was Auster angeht, bin ich überzeugt, daß er sich in der ganzen Sache schlecht benommen hat. Wenn unsere Freundschaft zu Ende ist, so ist er selber schuld. Was mich betrifft, so bleiben meine Gedanken bei Quinn. Er wird immer bei mir sein. Und wohin immer er verschwunden sein mag, ich wünsche ihm Glück.
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