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Stadt aus Glas

Titel: Stadt aus Glas
Autoren: Paul Auster
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beschäftigt. Mit dem Fall.«
    »Mit was für einem Fall?«
    »Mit dem Fall, dem Fall Stillman. Erinnern Sie sich noch?«
    »Natürlich erinnere ich mich.«
    »Deshalb rufe ich an. Ich möchte jetzt vorbeikommen und mir das Geld abholen. Die fünfhundert Dollar.«
    »Was für Geld?«
    »Den Scheck, erinnern Sie sich? Den Scheck, den ich Ihnen gab und der auf Paul Auster ausgestellt war.«
    »Natürlich erinnere ich mich. Aber es gibt kein Geld. Deshalb habe ich Sie ja dauernd angerufen.«
    »Sie hatten kein Recht, es auszugeben«, rief Quinn, plötzlich außer sich. »Dieses Geld gehörte mir.«
    »Ich habe es nicht ausgegeben. Der Scheck ist geplatzt.«
    »Ich glaube Ihnen nicht.«
    »Sie können zu mir kommen und den Brief der Bank sehen, wenn Sie wollen. Er liegt hier auf meinem Schreibtisch. Der Scheck war faul.«
    »Das ist absurd.«
    »Ja, das ist es. Aber das spielt doch nun keine Rolle mehr, oder?«
    »Natürlich spielt es eine Rolle. Ich brauche das Geld, um mit dem Fall weiterzumachen.«
    »Aber es gibt keinen Fall mehr. Es ist alles vorbei.«
    »Was meinen Sie?«
    »Das, was Sie meinen. Der Fall Stillman.«
    »Aber was soll das bedeuten: Es ist vorbei? Ich arbeite noch daran.«
    »Das kann ich nicht glauben.«
    »Hören Sie auf, so verdammt geheimnisvoll zu tun. Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon Sie reden.«
    »Ich kann nicht glauben, daß Sie es nicht wissen. Wo, zum Teufel, waren Sie denn? Lesen Sie keine Zeitungen?«
    »Zeitungen? Verflucht, so sagen Sie schon, was Sie meinen. Ich habe wahrhaftig keine Zeit, Zeitungen zu lesen.«
    Stille am anderen Ende, und einen Augenblick hatte Quinn das Gefühl, daß das Gespräch beendet war, daß er irgendwie eingeschlafen und eben mit dem Hörer in der Hand wieder aufgewacht war.
    »Stillman ist von der Brooklyn-Brücke gesprungen«, sagte Auster. »Er hat vor zweieinhalb Monaten Selbstmord verübt.«
    »Sie lügen.«
    »Es stand in allen Zeitungen. Sie können es nachprüfen.«
    Quinn sagte nichts.
    »Es war Ihr Stillman«, sprach Auster weiter. »Der Stillman, der Professor an der Columbia University gewesen war. Es hieß, er starb mitten in der Luft, bevor er noch auf dem Wasser aufschlug.«
    »Und Peter? Was ist mit Peter?«
    »Ich habe keine Ahnung.«
    »Weiß es irgend jemand?«
    »Kann ich nicht sagen. Das müssen Sie selber herausbekommen.«
    »Ja, das muß ich wohl«, sagte Quinn. Dann hängte er ein, ohne sich von Auster zu verabschieden. Er nahm das andere Zehncentstück und rief damit Virginia Stillman an. Die Nummer wußte er noch auswendig.
    Eine mechanische Stimme wiederholte sie und sagte, daß es unter dieser Nummer keinen Anschluß mehr gab. Dann wiederholte die Stimme die Mitteilung, und danach brach die Verbindung ab.

    Quinn konnte nicht mit Sicherheit sagen, wie ihm zumute war. In diesen ersten Augenblicken war es, als fühlte er nichts, als würde das Ganze letzten Endes nichts ausmachen. Er beschloß, später darüber nachzudenken. Später habe ich noch genug Zeit dafür, dachte er. Für den Augenblick schien es das einzig Wichtige zu sein, nach Hause zu gehen. Er wollte in seine Wohnung zurückkehren, sich ausziehen und ein heißes Bad nehmen. Dann wollte er sich die neuen Magazine ansehen, ein paar Platten auflegen, ein wenig aufräumen. Und dann würde er vielleicht beginnen, darüber nachzudenken. Er ging in die 107th Street zurück. Die Hausschlüssel hatte er noch in der Tasche, und als er die Haustür aufsperrte und die drei Treppen zu seiner Wohnung hinaufging, fühlte er sich beinahe glücklich. Aber dann trat er in die Wohnung, und das war das Ende.
    Alles hatte sich verändert. Er schien sich an einem völlig anderen Ort zu befinden, und Quinn dachte, er müsse aus Versehen die falsche Wohnung betreten haben. Er ging noch einmal ins Treppenhaus hinaus und sah nach der Nummer an der Tür. Nein, er hatte sich nicht geirrt. Es war seine Wohnung, und mit seinem Schlüssel hatte er die Tür geöffnet. Er ging wieder hinein und versuchte, sich über die Lage klarzuwerden. Die Möbel waren umgestellt worden. Wo ein Tisch gewesen war, stand jetzt ein Stuhl.
    Wo ein Sofa gestanden hatte, war jetzt ein Tisch. An den Wänden hingen neue Bilder, auf dem Boden lag ein neuer Teppich. Und sein Schreibtisch? Er suchte ihn, fand ihn aber nicht. Er betrachtete die Möbel genauer und sah, daß es gar nicht die seinen waren. Alles, was sich in der Wohnung befunden hatte, als er das letzte Mal dagewesen war, hatte man ausgeräumt. Sein
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