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Stachel der Erinnerung

Stachel der Erinnerung

Titel: Stachel der Erinnerung
Autoren: F Henz
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üblich nicht einstellen.
    „Das wissen wir, Hendrik“, sagte Berit gönnerhaft und nahm Tessas Arm, um sie den anderen Männern vorzustellen.
    „Für heute ist es genug, wir machen morgen weiter.“ Hendrik fuhr sich durchs Haar und begann, den Overall aufzuknöpfen.
    Tessa versuchte, nicht auf Hendriks Brust zu starren. Zwar war er nicht nackt, sondern trug ein gelbes T-Shirt, aber das saß so eng, dass der Fantasie kein Spielraum blieb. Er bemerkte ihren Blick und ließ seine bernsteinfarbenen Augen seinerseits über ihren Körper wandern, und zwar in einer Art, die sie vergessen machte, dass sie sich neben Berit immer viel zu groß und viel zu flach und viel zu wenig blond fühlte. Ein beinahe schon vergessenes Kribbeln breitete sich in ihr aus. Wie wäre es, die vernünftige Tessa einfach zurück nach Hamburg zu schicken, wo sie weiterhin gähnende Studenten über die kulturelle Auswirkung der Wikingerzüge auf das westliche Europa unterrichten konnte und sich stattdessen etwas Spaß zu gönnen? Und Hendrik versprach eine Menge Spaß. Sie mochte große Männer, schon weil sie selbst ohne Schuhe 182 Zentimeter maß, und sie mochte Männer, deren Körper Muskeln an den richtigen Stellen aufwies.
    Leider machte ihr die vernünftige Tessa einen Strich durch die Rechnung, da sie ihr ins Gedächtnis rief, wie der Spaß die letzten Male geendet hatte: mit Tränen, Schmerz, Verzweiflung und mehreren abgebrochenen Therapien. Sie sollte klüger sein, sie sollte endlich begreifen, wie der Hase lief, der Realität ins Auge sehen, und sich nichts vormachen.
    Widerstrebend riss sie ihren Blick von Hendrik los, der den Overall über die ebenfalls eng sitzende Jeans nach unten schob. Man würde sehen. Vielleicht war es ja diesmal anders, vielleicht war es diesmal der Richtige …
    „Tessa! Hörst du mich?“
    Berits Stimme drang jetzt doch in ihre Gedanken und sie nickte automatisch.
    „Wir fahren an der Küste entlang und sehen zu, dass wir etwas zwischen die Zähne kriegen.“
    „Okay.“ Gehorsam kletterte sie wieder in den Jeep. Berit lenkte den Wagen in Schlangenlinien an den zahlreichen Schlaglöchern vorbei zur geteerten Hauptstraße.
    „Er ist das Letzte, was du brauchst“, sagte sie dann unvermittelt.
    Tessa verzichtete darauf, die Ahnungslose zu spielen. Stattdessen blickte sie schweigend aus dem Seitenfenster und hoffte, dass das Thema damit erledigt wäre. Allerdings bewies Berit wie üblich kein Feingefühl, sondern schoss sich mit unbarmherziger Direktheit auf das Thema ein. „Hendrik ist ein Aufreißer allererster Sahne. Er verbraucht Frauen wie Papiertaschentücher.“
    „Ist ja gut“, murmelte Tessa peinlich berührt. „Ich weiß deine Fürsorge zu schätzen, aber …“
    „Ich kenne dich seit fast zehn Jahren“, unterbrach Berit sie unbeeindruckt. „Ich mag dich, deshalb sei es mir gestattet, mir Sorgen zu machen. Lass die Finger von ihm. Dem Typen bist du nicht gewachsen.“
    Ungeachtet der Tatsache, dass Berit recht hatte, sowohl was die zehn Jahre betraf, als auch die Befugnis, sich Sorgen zu machen, wollte sie nicht so rasch klein beigeben. „Um Himmels willen, Berit, ich hab keine zwanzig Worte mit dem Mann gewechselt.“ Entnervt verschränkte Tessa die Arme vor der Brust.
    „Das war auch nicht nötig. Mir ist nicht entgangen, wie du ihn angesehen hast. Und wie er dich angesehen hat.“
    „Du übertreibst.“
    „Gut. Übertreibe ich eben. Aber ich brauche dich bei klarem Verstand. Ich brauche kein schluchzendes Bündel Verzweiflung, das sich an meiner Schulter ausweint. Deshalb warne ich dich schon jetzt. Lass dich nicht mit Hendrik ein. Er knickt jemanden wie dich mit einem Fingerschnippen.“
    „Hätten wir das auch besprochen.“ Tessas Stimme klang scharf. „Du musst dir keine Gedanken machen, ich weiß, warum ich hier bin und ich werde es nicht vergessen.“
    Sie schwiegen beide und starrten trotzig durch die Windschutzscheibe. Die Küste tauchte vor ihnen auf und mit ihr vereinzelte, an den Straßenrand geduckte Häuser. Im hohen Norden war die Infrastruktur nicht mit jener in Mitteleuropa zu vergleichen und auf einer Insel im Nordmeer potenzierte sich dieser Umstand noch. Lebensmittel mussten von weit hergeschafft werden und damit verteuerte sich nicht nur der Preis, sondern verringerte sich auch das Angebot. Tiefkühlware gehörte wegen der Lagerfähigkeit zu den beliebtesten Gütern überhaupt. Frisches Obst und Gemüse waren dagegen nur spärlich vorhanden. Die Speisekarte
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