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Spurschaden

Spurschaden

Titel: Spurschaden
Autoren: Simon Halo
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worin er gut war: er verharrte in seiner Position und hörte zu.
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    »Warum nicht? Ich kann mehrere Sprachen, ich bin kontaktfreudig, ich bin sportlich … und ich bin hübsch!«
    »Das bist du wirklich. Aber letzte Woche wolltest du noch Stewardess werden und dich von einem Piloten schwängern lassen!«
    »Am besten vom Autopiloten, was?«
    »Versteh mich bitte nicht falsch, Ashley, aber du bist schon sehr klein!«
    »Ich muss jetzt …« Ashley stieß energisch die Tür auf und lief Thomas direkt in die Arme. Für einen kurzen Moment stützte dieser die zierliche Krankenschwester, trat dann einige Schritte zurück.
    Die Nachtschwester hob ihren Kopf. Sichtlich verärgert schaute sie Thomas an. Sekunden später wich allerdings ihre ernste Miene. Überrascht verzog sie ihren großen Mund zu einem noch größeren Lächeln. »Sie sind der Kommissar, stimmt’s?«
    »Ja, Thomas Schlund. Hallo.« Er schaute auf das klare Weiß ihrer Augen, das die tiefschwarzen Pupillen umgab. Der helle Kittel ließ ihre Haut noch dunkler erscheinen, und natürlich fiel ihm sofort der Aufkleber einer lachenden Sonne auf dem Namensschild auf. »Du bist wirklich klein … und hübsch«, dachte er, während er von oben herab auf ihr pechschwarzes Haar schaute, das zu unzähligen Rasterlocken verflochten war.
    »Hi. Ich bin die Ashley.« Die junge Frau zog blitzartig die Tür vom Schwesternzimmer zu und hob erneut ihren Kopf. »Kommen Sie! Ich begleite Sie!«
    Während Thomas der Schwester folgte, verglich er vor seinem inneren Auge deren Größe mit der von Marie. Marie war eindeutig größer – und kräftiger.
    »Die junge Frau tut mir so leid!«
    »Wie meinen Sie das?« Thomas atmete schneller.
    »Von den Erfrierungen hat sie sich ja außergewöhnlich schnell erholt – unter den Ärzten ist sogar das Wort ›Wunder‹ gefallen. Nur ihre rechte Hand …« Die Schwester schluckte hörbar. »Es ist uns allen ein Rätsel.«
    »Was meinen Sie?« Thomas presste die Zähne aufeinander und drückte seine Zunge gegen den Gaumen; so wie er es immer tat, wenn er etwas erwartete, was ihm nicht gefallen würde.
    Die Schwester verlangsamte ihren Gang. »Gestern Abend habe ich mit Marie … mit Frau Kraft noch darüber gescherzt, dass sie sich ja bereits selbst geheilt hätte und wohl bald einfach davonfliegen werde. Und heute Abend dann der Schock.« Die Schwester blieb stehen. »Ich nahm den Verband ab und wurde fast ohnmächtig. Die Wunde an ihrer rechten Hand muss sich entzündet haben. So was habe ich noch nicht gesehen – und die Ärzte auch nicht! Sobald ich den Verband löste, lief mir dieser dickflüssige Brei entgegen. Ich habe die einzelnen Fingerknochen gesehen. Stellen Sie sich das vor!«
    Die Schwester schaute zu Thomas hoch. »Amputation! Vermutlich heute Morgen noch. Die Hand ist verloren! Und Marie weiß das inzwischen. Doch was mir nicht aus dem Kopf geht …« Ashley flüsterte: »Sie scheint das nicht weiter zu stören. Mein Gott, ich glaube, sie freut sich darüber! Verrückt … ich weiß!« Die Schwester seufzte laut auf und ging dann weiter. »Kommen Sie. Dort vorne ist es.«
    Thomas würgte, ohne zu erbrechen.

27
    Er würde sehr wahrscheinlich die Nacht in der Klinik verbringen müssen. Das hatte er seiner Frau telefonisch angekündigt – gestern. Jetzt saß er da, halb im Schlaf, schwenkte seinen Körper auf dem 1.900 Euro teuren Bürostuhl mal nach hinten, mal nach vorne. Ein seitliches Neigen war durch das ausgeklügelte System mechanischer Federn zwar ausdrücklich vorgesehen, doch das wollte er nicht, hatte er durch das Festdrehen einer ganz bestimmten Schraube schon lange unterbunden.
    Professor Arndt saß oft und lange auf diesem Hightech-Stuhl. Einen Wunsch nach den üblichen Statussymbolen seiner Kollegen hatte er nie verspürt. Er machte sich nichts aus materiellen Gütern, die keinen ernsthaften Mehrnutzen bieten konnten. Schnelle Autos und große Anwesen, bei denen fremde Hände den umliegenden Garten in Zaum halten mussten, nein, das war nicht seine Welt. Bei diesem Gesundheitsstuhl war das allerdings etwas anderes. Diese Art Luxus war ihm nicht zuwider; er erfüllte einen Zweck.
    Drei bis fünf Mal im Monat blieb er über Nacht hier, in der Klinik. Spät wurde es fast immer, aber seine Frau bot neben den üblichen Reizen etwas, das selbst ihn von der Arbeit trennen konnte: Bratkartoffeln. Bessere gab es seiner Ansicht nach nicht – und er hatte einen ganz besonders ausgeprägten
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