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Spurlos

Spurlos

Titel: Spurlos
Autoren: Manuela Martini
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Zimmer
    Draußen auf dem Flur tastete er am Gürtel nach seinem Handy. E r musste es im Büro liegen gelassen haben. In der Krankenhaushalle neben dem Ausgang entdeckte er einen freien Münzfernsprecher. Glücklicherweise hatte er Kleingeld dabei. Zuerst rief er Vicky an und sagte ihr, sie könne Horkay nach Hause schicken. Details würde er ihr später erklären. Dann bat er sie, die Kollegen in Brisbane und Warwick zu verständigen, damit sie sich um die sofortige Festnahme von Todd Hoffman kümmerten. Und außerdem sollten die Kollegen in Brisbane Tamara Thompson anrufen und ihr sagen, dass sie Recht gehabt hätte.
    „Tamara hat gerade a ngerufen, Shane. Ich habe ihr gesagt, dass wir ihn haben, Brett Horkay.“
    „Dann rufen Sie sie wieder an und sagen ihr, dass wir uns geirrt haben! Moment, hat sie gesagt, von wo aus sie anruft?“
    „N ein. Ich glaube, sie war beleidigt, weil Sie ihr nicht selbst Bescheid gegeben haben.“
    Verständlich, dachte er und fragte sich, warum er ihrer Vermutung so wenig Glauben geschenkt hatte. War es vielleicht sogar sein Stolz gewesen, der verhindert hatte, dass er sich auf Tamaras Vermutung einlassen konnte.
    „Noch was“, unterbrach Vicky seine Gedanken, „ich habe, wie Sie gesagt haben, jemanden zu diesem Kellner im Casino geschickt. Er beschrieb den Begleiter von Valerie Tate als schlanken, sportlich wirkenden Mann mit rötlich blondem kurz geschorenem Haar und Sommersprossen. Vielleicht war das Hoffman?“
    Ja, das war er.
    „Vicky, rufen Sie sofort die Kollegen an!“ Er hoffte, Tamara war seiner Empfehlung gefolgt und gönnte sich einen erholsamen Sonntag.

13
    D ie Perlen lagen kühl und glatt in ihrer Hand. Sie musste sie fast alle aufgesammelt haben. Nein, da, unter dem Schrank leuchteten noch zwei oder drei.
    „ Wann kommt der Krankenwagen endlich?“ Sein Oberkörper war ein wenig tiefer gerutscht und sein Kopf auf die Schulter gesunken.
    Sie kniete direkt neben ihm. „Er muss gleich da sein.“ Seltsam, sie hätte jetzt netter zu ihm sein können, er hätte ihr leidtun können, aber sie empfand nichts. Gar nichts. In ihrem Innern war ein schwarzes, tiefes Loch, in das alles Lebendige hineinstürzte – und verschwand.
    Sie streckte ihren Arm unter den Schrank und bekam eine Perle zufassen. Sie legte sie in ihre andere Hand. Dann streckte sie ihren Arm noch einmal aus, tastete weiter und berührte einen weichen, zarten Stoff. Ein Schal musste aus der Schublade gefallen sein. Sie zog ihn hervor. Irgendetwas war darin eingewickelt. Mit der rechten Hand schlug sie die Enden des beigefarbenen Seidenstoffs zurück. Sie war rot – die Powerplatte.
    Seine Augen zogen sich zusammen, flackerten auf. Ein verzerrtes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Sie hätten schon Jahre früher kommen sollen, Tamara.“ Er hustete.
    Sie starrte auf die ziselierte rote Kunststoffscheibe in ihrer Hand.
    „Warum?“, musste sie fragen.
    „Meine Mutter und meine kleine Schwester ...“ Das Sprechen fiel ihm schwer. „Sie wollten nicht allein sein …“ Er verzog den Mund.
    „Und McNulty?“
    Er hustete trocken. „Dieser kleine McNulty, er konnte nicht schwimmen und ist aus dem Boot gefallen. Ich hab ihm das Leben gerettet. Von da an ist er mir nachgelaufen wie ein Hund.“ Er lachte kurz.
    Die Fakten setzten sich in ihrem Kopf zusammen.
    „Hat er Patty Benson getötet?“
    Er schüttelte schwach den Kopf und hustete wieder.
    „Er war nur dabei.“
    Jetzt ahnte sie, wer McNulty die Bibel geschickt hatte.
    „ Wie viele Menschen haben Sie noch getötet, Todd?“
    Er schloss die Augen und atmete flach. „Ich wollte nicht mehr auf die Stimme hören. Da hat Gott die Todeswelle geschickt ...“ Er schluckte schwer. „ ...und eine Viertelmillion Menschen musste starben… Es war meine Schuld.“
    Für einen Moment hatte sie Mitleid mit ihm, doch dann dachte sie an die jungen Frauen, deren Leben er so grausam beendet hatte.
    Sie sah auf die Powerplatte in ihrer Hand. Ein kurzes Lächeln flog über sein Gesicht.
    „Ist von meiner Mutter. Sie hat sich mit solchem Zeug beschäftigt.“ Er streckte seinen Arm aus. „Geben Sie sie mir.“
    Sie zögerte.
    „Bitte.“
    Sie gab sie ihm. Seine Hand berührte die Platte.
    Er ist neun, seine Schwester zwei. Sie wohnen in Darwin. Es ist Weihnachten. Im Radio kündigen sie Sturm an. Seit Tagen bewegt sich eine große Wolkenmasse, ein Tiefdrucksystem, das sich über Zentralsibirien gebildet hat, über die Arafura See auf die Nordküste
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