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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste
Autoren: Alexandra Cordes
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eine Tochter.
    Sie genossen die Sommertage, Sonne und grünes Laub, das sich
    im Wind wiegte, und Wolken, die über den Himmel segelten;
    Schwalben, die durch die laue Luft schnitten; Abende in der blau-
    en Dämmerung, leises Lachen, leise Seufzer in der Dunkelheit.
    Mutt ging mit geradezu verklärtem Blick umher, es war, als dreh-
    te sich ihr graues Haar in lustigen kleinen Spiralen.
    Sie backte und kochte und briet und deckte den Tisch, und ihre
    Augen strahlten hell und glücklich.
    Werners Vater zeigte Irene schmunzelnd und stolz das Kinder-
    spielzeug, das er mit so viel Liebe anfertigte und versprach, für den ersten Enkel eine echte Spreewälder Wiege zu schreinern.
    Werner sagte, sie würden noch im Laufe des Sommers heiraten,
    und schenkte Irene einen Verlobungsring mit einem herzförmigen
    Rubin.
    Es war alles herrlich, doch dann sagte Irene in der Nacht: »Wer-
    ner, ich muß morgen nach Hamburg. Ich muß dort etwas erledi-
    gen.«
    Und auch jetzt fragte er nicht, was, sagte nur schläfrig: »Na klar,
    Liebes, wir fliegen morgen nach Hamburg. Für mich wird es auch
    Zeit, daß ich in die Redaktion komme.«
    Für ihn war alles in Ordnung. Für ihn gab es keine Fragen.
    Er hielt Irene in seinen Armen und dachte, daß sich dies niemals
    mehr ändern würde.
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    Werner hatte nicht damit gerechnet, wie ihn der Anblick seiner
    Wohnung in Hamburg treffen würde: Alles erinnerte ihn noch an
    Inge.
    Vor allem Kleinigkeiten waren es; da das kleine, zaghafte, von
    Inge gemalte Bild von Schlittschuhläufern, die sie einmal auf einem
    See in der Heide beobachtet hatten; dort, in der Küche, die Perga-
    mentrolle, auf der sie die Kräuter notiert hatte, die sie auf langen Spaziergängen gesammelt hatten; dann das Glas, das sie ihm aus
    Venedig mitgebracht hatte – sie machten ja fast immer getrennt Ur-
    laub, um aufzutanken, wie man das so nennt –, honigfarben, so
    leicht wie eine Feder.
    »Du warst nicht allein?« fragte Irene mit einem zögernden Lä-
    cheln.
    »Nein«, sagte er wahrheitsgemäß, »aber jetzt bist du da.«
    Und wer will die Tage und Nächte schildern, die folgten?
    Glück, was ist das? Kann man es beschreiben?
    In der Redaktion sagte Ludwig: »Du siehst aus wie ein selbstzu-
    friedener Kater.«
    »Idiot«, sagte Werner.
    Ludwig grinste.
    »Tol e Frau muß das ja sein, die du dir da aufgegabelt hast!« Und
    dann fügte er gleich weinerlich hinzu: »Unsere Heizung ist im Ei-
    mer. Weißt du, was heute ein neuer Heizungskessel kostet? Meine
    Alte heult mir jeden Abend was vor, wie eine Sirene.«
    Werner gab Ludwig augenzwinkernd hundert Mark und dachte
    an die Bettlerin vor dem Kloster in der Via Dolorosa.
    Ludwig strahlte: »Mensch, bist du in 'nen Goldpott gefallen? Ist
    deine Neue auch noch reich? Mensch, du machst mich richtig an!«
    Er hatte Heuschnupfen, der gute Ludwig. Und als erstes geneh-
    migte er sich einen kräftigen Schnaps in der Kneipe um die Ecke
    für die Gesundheit und auf Werners Wohl. »Übrigens, Inge hat ein
    paar Tage Urlaub genommen, als sie hörte, daß du zurückkommst.
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    – Viel eicht rufst du sie doch mal an. Immerhin wart ihr doch zwei
    Jahre ganz dicke zusammen«, meinte Ludwig.
    »Tue ich«, versprach Werner und nahm es sich auch wirklich vor.
    »Und wann krieg' ich die dufte Neue zu sehen?«
    »Wenn wir verheiratet sind«, sagte Werner.
    »Du machst es aber spannend«, grinste Ludwig.
    »Ich bin eben abergläubisch«, sagte Werner und meinte es ernst.
    Denn da war etwas, das an ihm nagte, ihn nicht zur Ruhe kom-
    men ließ: die Angst, Irene noch einmal zu verlieren.
    Natürlich nicht an Ludwig und auch nicht an irgendeinen an-
    deren Mann, sondern einfach so. Er konnte es sich selbst nicht er-
    klären und wehrte sich auch dagegen, aber es half nicht viel. Die
    Angst blieb.
    Abends, als er aus der Redaktion nach Hause kam, wartete Irene
    auf ihn.
    Sie hatte nichts in der Wohnung verändert, aber einfach, weil sie
    da war, verblaßten die Erinnerungen an Inge.
    »Ich liebe dich«, sagte er. »Vergiß das nie, Irene.«
    »Ich werde es nie vergessen«, versprach sie ernsthaft.
    Er entdeckte an diesem Abend, daß Irene vorzüglich kochen
    konnte.
    Er entdeckte, daß sie seine Stimmungen im voraus erriet.
    Sie zündete Kerzen an, legte eine Platte auf, die er besonders lieb-
    te, die Symphonie ›Aus der Neuen Welt‹.
    Sie schmiegten sich aneinander, während sie auf der Couch lagen
    und der Musik lauschten.
    Sie lösten sich nur voneinander, wenn er nach seinem
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