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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste
Autoren: Alexandra Cordes
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den Briefbogen in
    seine Jackettasche.
    Die beiden Männer, die an der Tür gestanden hatten, brachten
    den Kaffee und vier Gedecke.
    Der Weißhaarige bediente Irene.
    »Milch und Zucker?«
    »Ja bitte.«
    Sie tranken Kaffee, als sei dies ein ungezwungener Besuch unter
    Freunden.
    »Sie wissen, was in den Umschlägen war, die Sie befördert ha-
    ben?« fragte der Weißhaarige schließlich.
    »Nein«, sagte Irene.
    »Sie haben nie einen geöffnet?«
    »Nein. Ich war oft nahe daran, aber dann dachte ich, es ist besser,
    wenn ich es nicht weiß. Einmal habe ich gefragt, aber man hat
    mich belogen. Ich – es war schon schwer genug, ich meine, dieser
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    Kurierdienst.«
    »Das ist jetzt vorbei. In Zukunft werden Sie für uns arbeiten. Und
    das wird Ihnen gewiß leichter fallen. Abus Ring ist aufgeflogen, Sie wissen schon, der Mann, den Sie den ›Dunklen‹ nennen.«
    Konnte der Weißhaarige Gedanken lesen?
    Er lächelte sie an. »Ja, Mrs. Blessing, man lernt so allerlei in meinem Beruf.«
    »Was habe ich in den Umschlägen befördert?« fragte Irene.
    »Namen von Orten und Kontaktpersonal, die Geld gaben.«
    »Das ist alles?« Sie war erleichtert. Unsäglich erleichtert.
    »Es war genug.« Sekundenlang war das Gesicht des Weißhaarigen
    wieder hart und ausdruckslos.
    »In Zukunft werde ich es sein, von dem Sie die Umschläge er-
    halten.«
    Und sie sagte: »Bitte, nein, bitte lassen Sie mich doch aus dem
    Spiel raus, ich will nicht mehr, ich kann einfach nicht mehr. Ich
    habe – ich könnte, ich möchte so gern ein neues Leben anfangen.
    Ich habe – da ist ein Mann, der mir vertraut. Ich – ja, ich könnte
    zum erstenmal in meinem Leben glücklich sein. Bitte nehmen Sie
    doch jemand anderen. Bitte, lassen Sie mich doch endlich ein nor-
    males Leben führen. Ich bin dreißig, ich könnte heiraten, noch
    Kinder haben.« Sie schlug die Hände vors Gesicht. Es war zuviel
    gewesen, sechs Jahre Sühne waren genug. Sechs Jahre der Angst und
    des Gehetztseins mußten doch genügen.
    »Es tut mir leid, Mrs. Blessing«, hörte sie die ruhige Stimme des
    Weißhaarigen sagen, »aber wir brauchen Sie. Wir leben in einer
    Welt, die leider ganz und gar nicht friedlich ist. Wenn Sie uns hel-
    fen, können wir dafür sorgen, daß sie ein bißchen friedlicher wird.
    – Meine Freunde werden Sie jetzt zum Flughafen fahren. Sie neh-
    men die nächste Maschine nach Amsterdam. Dort werden Sie ab-
    geholt. Sie fliegen dann morgen nachmittag nach London weiter.
    Auch dort wird man Sie erwarten. – Und schauen Sie, die Umschlä-
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    ge unterscheiden sich nicht von denen, die Sie bisher befördert
    haben.«
    Irene starrte auf die blanken weißen Umschläge.
    Einer war ein wenig größer als der andere.
    »Kann ich wenigstens noch zu Hause anrufen, Bescheid sagen?«
    »Das geht leider nicht«, sagte der Weißhaarige. Er wechselte über-
    gangslos ins Deutsche.
    »Herr Holt weiß ja, daß Sie eine geheimnisvolle Frau sind. Es
    stört ihn nicht, also wird er alles glauben, was Sie ihm bei Ihrer
    Rückkehr erzählen. Und Sie können ihm alles erzählen. Nur nicht
    die Wahrheit.«
    Noch ehe Werner die Wohnungstür aufschloß und sah, daß Licht-
    schein aus dem Wohnraum in die Diele fiel, wußte er, daß Irene
    zurückgekehrt war.
    Sie kam ihm in einem langen seidenweichen Kleid entgegen, von
    der Farbe wilder Pflaumen.
    Sie war so schön, und in ihren Augen las er so viel, daß er vor
    allem anderen sie in seine Arme schloß.
    Sie standen lange fest aneinandergepreßt.
    Dann machte sie sich los. »Verzeih«, sagte sie. »Ich wußte nicht,
    daß ich ein paar Tage wegbleiben würde. Aber in London streikten
    die Fluglotsen.«
    »Du warst in London?« fragte er verblüfft.
    Sie lächelte und nickte.
    »Und ich hab' gedacht, dir ist etwas passiert. Ich hab' schon die
    schlimmsten Alpträume gehabt.«
    Er folgte ihr ins Wohnzimmer, wo sie ihm einen Gin tonic mixte;
    sie selbst trank nur Tonic-Wasser. »Wird das häufiger vorkommen,
    daß du so einfach verschwindest?« fragte er und ließ es leicht und
    beinahe scherzhaft klingen, obwohl ihm gar nicht danach zumute
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    war.
    »Das kann sein«, gab sie zu.
    »Und warum?«
    »Es hat etwas mit dem Nachlaß meines ersten Mannes zu tun.«
    »Geschäftliche Besprechungen?«
    »Geschäftliche Besprechungen«, sagte Irene.
    Er sah sie fragend und nachdenklich an, sie erwiderte seinen Blick
    offen, aber, wie ihm schien, auch ein bißchen abweisend.
    »Du willst nicht darüber reden?«
    »Ungern«, sagte
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