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Spuren in der Wüste

Spuren in der Wüste

Titel: Spuren in der Wüste
Autoren: Alexandra Cordes
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Glas griff
    oder für sie beide eine Zigarette anzündete.
    »Erzähl mir von dir«, bat er nach einer Weile.
    »Da gibt es nicht viel.«
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    »Trotzdem«, sagte er.
    »Wo soll ich anfangen?«
    »Als du ein Kind warst.«
    Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter. Er streichelte ihr Haar. Er
    meinte, nie so etwas Weiches, Zartes zuvor in seinen Händen ge-
    spürt zu haben.
    »Meine Kindheit war nicht besonders schön. Es gab immer Streit
    wegen Geld. Aber meine Eltern konnten nichts dafür. Mein Vater
    hatte keinen Beruf gelernt und fand nur Aushilfsstellen. Es ging
    ihnen so dreckig, daß meine Mutter ihre ersten beiden Jungen zur
    Adoption weggab. Mich und Doris behielten sie dann später. Und
    ich ging zur Schule und zu Abendkursen und fand einen Job und
    heiratete. Jim war Handelsvertreter und, wenn du weißt, was ich
    meine, auch genau der Typ. Ein bißchen laut, ein bißchen zu selbst-
    sicher. Aber damals imponierte mir das, und er half auch meinen
    Eltern. Sie konnten nach Friend's Farm rausziehen. Und dann hatte
    Jim einen Unfall. Er fuhr immer zu schnel .« Sie log, log, log – um
    für sich ihre Vergangenheit auszulöschen.
    Werner dachte nur kurz daran, daß Doris gesagt hatte: »Jim starb
    an einer Lungenentzündung.«
    Irene mußte es ja besser wissen.
    »Danach war ich ziemlich ruhelos«, sagte Irene. »Das kannst du
    dir ja vorstellen.«
    Ja, er konnte es sich vorstellen. Nach Silvanas Tod war er auch
    ruhelos gewesen. Hatte sich selbst gehetzt, von einem Ort zum an-
    deren, um zu vergessen.
    »Das ist jetzt alles vorbei«, sagte er, »laß uns vergessen.«
    »Ja«, sagte Irene, »o ja, laß uns vergessen.«
    Und sie vergaßen alles in ihrer Umarmung.
    Am Abend darauf wartete Irene nicht auf ihn, als Werner aus der
    dpa-Redaktion kam.
    Ein Zettel lag auf der kleinen Empirekommode in der Diele.
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    »Lieber Werner, Abendessen steht im Backofen. Wenn es später
    werden sollte, warte nicht auf mich«, und in einem Schnörkel darun-
    ter: »In Liebe, Irene.«
    Werner war mit einemmal sehr niedergeschlagen.
    Er aß nicht, was Irene für ihn vorbereitet hatte, er ging in sein
    Arbeitszimmer, trank einen ziemlich starken Whisky.
    Saß dann an seinem Schreibtisch, nahm sich schließlich das Ma-
    terial vor, das er in Israel gesammelt hatte – ein Teilstück für die ge-plante große Reisebeilage für Tageszeitungen.
    »Gefahren im Urlaub…«
    Er las seine Notizen durch, die Fakten waren:
    Ein Mann und eine Frau waren mit einem VW in die Wüste ge-
    fahren, abseits der normalen Straßen. Sie hatten nur zwei Flaschen
    Coca-Cola bei sich gehabt und verstanden nicht, mit dem Wagen-
    heber umzugehen, als sie eine Reifenpanne hatten.
    Die jüngere Frau hatte ihren Mann allein gelassen, um Hilfe zu
    holen – und der Mann war in der Wüste umgekommen.
    Erst Tage später hatte man ihn gefunden.
    Werner schrieb jetzt die Story.
    Als er damit fertig war, empfand er Unbehagen.
    Irgend etwas stimmte daran nicht.
    Er ging noch einmal seine Notizen durch.
    Da las er, daß sie kurz vor der Reifenpanne noch auf Beduinen
    getroffen waren, aber dann, nach der Panne, nicht etwa zu den Be-
    duinen zurückgekehrt waren, sondern daß die junge Frau des ameri-
    kanischen Sektenpriesters sich in die entgegengesetzte Richtung ge-
    wandt hatte, nämlich dem Toten Meer zu.
    Werner rieb sich die müden Augen.
    Unerklärlich und idiotisch zwar, aber was tat man nicht alles,
    wenn man unter Schock stand oder dem Einfluß von unerwarteten
    Geschehnissen.
    Und doch – irgend etwas stimmte da nicht.
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    Aber er schob jetzt die Seiten, die er geschrieben hatte, nur zu-
    sammen und legte sie in die mittlere Schublade.
    Er war müde, und morgen war auch noch ein Tag, dachte er.
    Er ging zu Bett.
    Aber schlafen konnte er nicht.
    In dieser Nacht kam Irene nicht nach Hause.
    Und auch am folgenden Tag nicht.
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    rene hatte die Anweisungen genau befolgt.
    IAls Treffpunkt hatte ihr der Dunkle die Halle des Hotels Vier
    Jahreszeiten genannt.
    Aber obwohl sie auf die Minute pünktlich dort war, näherte sich
    ihr niemand.
    Sie wartete drei Stunden lang, trank zuerst einen Tee, bestellte
    sich dann jedoch nichts mehr, weil ihre Hände zu sehr zitterten, je-
    desmal wenn sie die Tasse zum Mund führte.
    Bei ähnlichen Gelegenheiten zuvor war ihr aufgetragen worden,
    wenn der Kontakt nicht klappte, am folgenden Tag zur selben
    Stunde wieder dort zu sein, wo man sie erwartete.
    Sie verließ das Hotel um neun Uhr abends. Zwar standen Taxis
    davor, aber
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