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Spuren im Nichts

Spuren im Nichts

Titel: Spuren im Nichts
Autoren: Jack McDevitt
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Menschen halbwegs genau an den physischen Merkmalen erkennen, die die Eltern ausgewählt hatten. In verschiedenen Epochen wurden verschiedene Hauttönungen oder Haarfarben und ein unterschiedlicher Körperbau bevorzugt. Das Schönheitsideal wechselte; in einer Epoche waren die Frauen gut entwickelt, mit einem Schwerpunkt, der sich einige Zentimeter vor ihrem Körper befand, wie Solly Hobbs einmal bemerkt hatte, eine andere Ära zog gertenschlanke, knabenhafte Figuren vor. Die Physis der Männer rangierte ebenfalls von muskulös bis schlank. Gegenwärtig galt ein massiger Körper als irgendwie geschmacklos. Männer, die in den nächsten paar Jahren zur Welt kamen, würden aussehen wie eine Generation von Ballett-Tänzern.
    Während der Achtziger hatten Eltern beiderlei Geschlechts klassische Züge vorgezogen, eine lange Kinnlinie, weit auseinander stehende Augen und gerade Nasen. Die weiblichen Teenager heute sahen alle aus, als wären sie geradewegs von Podesten der griechischen Akropolis gestiegen. Kim entstammte einer früheren Epoche, als ein elfenhaftes Aussehen modisch gewesen war. Sie bemühte sich, dies durch eine gerade, sachliche Art zu kompensieren, und sie vermied ihre einprogrammierte Tendenz, den Kopf zur Seite zu neigen und zuckersüß zu lächeln. Außerdem trug sie eine Frisur, die ihre elfenhaft spitzen Ohren verbarg.
    Solomon Hobbs entstammte einer Epoche, die Muskeln und breite Schultern vorzog, obwohl er sich ein wenig hatte gehen lassen. Solly war einer der vier Raumschiffskommandanten des Instituts. Kim hatte ihn allerdings nicht erst dort kennen gelernt, sondern bei dem Hobby, das beide teilten: dem Tauchen. Solly war bereits Mitglied bei den Sea Knights gewesen, als Kim dem Tauchsportverein beigetreten war.
    Er besaß klare blaue Augen, braunes, ständig wirres Haar und eine sorglose Freundlichkeit, die in starkem Kontrast stand zu einer Kultur, die Vergnügen als ernstes Geschäft betrachtete, etwas, dem man sich zu unterziehen hatte, um ein vernünftiges psychologisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten.
    Nachdem die Beleuchtung wieder eingeschaltet worden war und die Gäste gegangen, hatte Kim ein Taxi gerufen und war zu Sollys Pier geflogen. Der Tauchgang zur Caledonian war ihre Art, das neue Jahr zu begrüßen. Sie hatten sich seit Wochen darauf gefreut. Als sie nun, getrieben von einem kalten Wind, Capelo Island umrundeten, begann Kim zögernd, von ihrer Unterhaltung mit Sheyel zu erzählen. Sie war von Unbehagen erfüllt, weil die Geschichte ihren früheren Lehrer als Verrückten dastehen ließ, trotzdem verspürte sie ein Bedürfnis, darüber zu reden. Als sie geendet hatte, fragte er sie sanft, wie viel Vertrauen sie in Sheyel Tolliver hatte. »Wenn du mir diese Frage vor zwei Tagen gestellt hättest …«, antwortete sie.
    »Die Leute verlieren den Bezug zur Realität, wenn sie älter werden.« Solly schielte zur Sonne hinauf. Die Sloop arbeitete sich durch die Wellen. »Das passiert.«
    Sie lauschten der See.
    »Ich habe so ein Gefühl«, sagte Kim, »als wäre ich Emily schuldig, etwas zu unternehmen.«
    »Emily würde sagen, vergiss es.«
    Kim lachte. Es war lustig. Emily war ganz sicher kein Mensch gewesen, der sich für jede schräge Idee begeistert hatte, doch irgendetwas in ihr hatte sie getrieben, das bloße physische Universum hinter sich zu lassen. Hätte sie die Wahl zwischen Tag und Nacht gehabt, sie hätte sich jedes Mal für die Nacht entschieden. »Nein«, sagte Kim. »Emily hätte gewollt, dass ich etwas tue. Jedenfalls bestimmt nicht dasitzen und die Hände in den Schoß legen.«
    »Beispielsweise nach Severin gehen?«
    Sie schnitt eine Grimasse. »Ich weiß. Es ist dumm, auch nur daran zu denken.«
    Solly zuckte die Schultern. »Mach einen Kurzurlaub draus.«
    »Ich muss auf jeden Fall noch einmal mit ihm reden. Mit Sheyel, meine ich. Ich mag die Art und Weise nicht, wie das Gespräch geendet hat.«
    »Und du willst ihn auch nicht anrufen und ihm sagen …«
    »… richtig. Dass ich mir nicht die Mühe gemacht habe, es mit eigenen Augen anzusehen.«
    Beide lachten. Der Wind wehte Gischt über die Reling.
    »Solly, ich werde ihm einfach sagen, dass ich keine Zeit hatte. Dass ich nach Severin Village fahre, sobald es möglich ist.«
    »Hast du mir nicht erzählt, dass der alte Bursche ein guter Lehrer war?«
    »Ja. Er war wirklich gut.«
    »Und du willst ihm erzählen, du hättest nicht die Zeit, etwas für ihn zu überprüfen? Dass du zu beschäftigt bist? Obwohl es
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