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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition)
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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war braun und insgesamt dunkler als die rechte. Um die Liegezeit zu bestimmen, wandten sie die Radiokarbonmethode an. Ein ziemlich kompliziertes Verfahren, bei dem mit speziellen Geräten gemessen wird, wie viel radioaktiver Kohlenstoff in der Probe enthalten ist, in dem Fall in den Schädelknochen. Alle Lebewesen nehmen radioaktiven Kohlenstoff auf, der im Organismus verbleibt, über den Tod hinaus, und erst nach einer Ewigkeit zerfällt. Die Halbwertzeit von radioaktivem Kohlenstoff beträgt rund fünftausendsiebenhundert Jahre. Anhand des in der Probe gemessenen Wertes lässt sich dann unter Berücksichtigung der Halbwertzeit ausrechnen, wie alt diese ist. Zumindest grob. Sie kamen auf zweihundertfünfunddreißig Jahre plus / minus vierzig.
    Dieses Resultat hätte nicht zu dem Mordfall gepasst. Nun musste man aber berücksichtigen, dass in der betreffenden Epoche der Radiokarbonpegel durch die Benutzung fossiler Brennstoffe wie Kohle beeinflusst worden war, wodurch das Ergebnis vermutlich verfälscht wurde. Das eingerechnet, kamen sie zu dem Schluss, dass die Person, deren Schädel sie untersucht hatten, irgendwann zwischen 1520 und 1960 gelebt haben musste. Damit konnte es doch Julia Martha Thomas gewesen sein. Das wurde am Ende auch als erwiesen angenommen.
    Die Frage, wie der Kopf dorthin gekommen war, sollen Zeugen schon damals nach der Tat beantwortet haben. Demnach hatten mehrere Personen ausgesagt, dass Kate Webster gern und häufig dem Alkohol zusprach und des Öfteren im
The Hole in The Wall
eingekehrt war. Der Pub und das Haus von Julia Martha Thomas lagen nur hundert Meter voneinander entfernt. Und es gab jemanden, der Kate Webster an einem der Tage nach dem Mord gesehen haben wollte, wie sie mit einer großen Tasche im Keller des Pubs verschwunden war …
     
    Fast ein Jahr verging, bis ich wieder mit dem Opfer eines Motorradunfalls konfrontiert wurde. Ich hatte es vorher auf dem Coroner’s Officers Report gelesen und war fest entschlossen, die Sache diesmal durchzuziehen. Es musste auch mal gut sein. Ich konnte die Geschichte nicht ewig mit mir herumschleppen. Mit diesen Gedanken ging ich in den Sektionssaal und versuchte, andere gar nicht erst zuzulassen.
    Drei Leichen lagen nebeneinander auf Sektionstischen. Ich begann mit der äußeren Besichtigung. Nummer eins, Nummer zwei, dann kam ich zu dem verunglückten Motorradfahrer. Ich wollte es genauso wie bei den anderen beiden zuvor machen. Doch es ging nicht. Vor mir verschwamm plötzlich alles, der Boden schien nachzugeben, und anstatt des toten Motorradfahrers, der nur ein paar Zentimeter von mir entfernt lag, sah ich wieder Chris. Und alles um mich herum verwandelte sich in den Sektionssaal von Uxbridge.
    Ich erinnere mich nicht, ob ich irgendetwas sagte. Auf jeden Fall kam der Sektionsgehilfe zu mir. Ich sah noch kurz in sein Gesicht, dann war wieder dieser Strudel da, und mir schwanden die Sinne.
    Als ich aufwachte, lag ich in einem Nebenraum. Der Sektionsgehilfe hatte in der Zwischenzeit einen Rettungswagen gerufen. Bis er eintraf, hatte ich mich wieder im Griff. Mir war der kleine Aussetzer peinlich. Ich sagte: »Es ist alles bestens, ich mache weiter«, und wollte mich in Richtung Sektionssaal bewegen. Aber sie sagten: »Du machst heute gar nichts mehr.« Oder etwas Ähnliches. Jedenfalls schickten sie mich nach Hause.
    Am Nachmittag kam ein Anruf vom Coroner’s Office, sie würden mich erst wieder arbeiten lassen, wenn ich ein ärztliches Attest vorlege, dass mit mir alles okay sei. Ich war sauer. Die anderen Fälle hatte ich ohne Schwierigkeiten hinbekommen. Trotzdem ging ich zu meinem Hausarzt, was blieb mir übrig? Der guckte mich erstaunt an und meinte, er könne nur Atteste ausstellen, in denen Patienten genau das Gegenteil bescheinigt wird – dass sie nicht arbeitsfähig sind. Irgendwie bekam ich ihn trotzdem dazu, bei mir eine Ausnahme zu machen. Nur löste das nicht mein Problem.
    Ich hatte es lange verdrängt, aber jetzt musste ich es mir eingestehen: Mein Panzer war weg, ich hatte meine Schutzhülle verloren. Bei den Inquests reagierte ich sensibel, wie ich mich gar nicht kannte. Selbst wenn es um einen Achtzigjährigen ging, der eines natürlichen Todes gestorben war, konnte ich meine Tränen kaum zurückhalten. Mir ging alles nah. Ich fing an, darüber nachzudenken, wie furchtbar der Verlust für die Familie sein musste, wie sehr sie jetzt litt. Das machte ich früher nie. Nicht dass ich ein gefühlskalter Mensch gewesen
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