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Spring in den Himmel

Spring in den Himmel

Titel: Spring in den Himmel
Autoren: Lotte Kinskofer
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Fahrgäste auch so. Ausländerin. Fährt schwarz. Schmarotzt sich durch.
    Jamina ging mit den Kontrolleuren zur Tür. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass ein Mädchen aufstand und sich neben sie stellte. Jamina musterte sie. Eine seltsame Gestalt. Dunkelbraune Haare mit ein paar grünen Strähnen drin. Schwarzes T-Shirt, schwarzer langerRock. Dunkel geschminkte Augen, blasses Gesicht. Sie schleppte eine Art Seesack mit sich. Ignorierte die Kontrolleure völlig, als wären sie nicht da. Lächelte Jamina kurz zu, als die sie musterte. Warum grinst sie so blöd, dachte Jamina. Macht sie sich über mich lustig? Sie sieht komisch aus, sie benimmt sich auch komisch, aber mich haben sie erwischt. Super.
    Gemeinsam stiegen sie aus. Der bärtige Kontrolleur hatte seine Hand nahe an Jaminas Arm. Der andere zückte seine Unterlagen. Die U-Bahn fuhr ohne sie weiter in Richtung Scheidplatz. Für sie war an der Münchner Freiheit Endstation. Gefangen an der Freiheit. Klang blöd. War aber wahr.
    »Du Ausweis?«
    Jamina kramte nach ihrem Ausweis.
    »Wie alt?«
    »Ich bin 16.«
    Da, ein Aufstöhnen, ein Schrei. Jamina sah erschrocken hoch. Das fremde Mädchen drückte die Hand auf die Magengegend, krümmte sich nach vorne und brach zusammen. Der Kontrolleur, der gerade nach Jaminas Ausweis greifen wollte, wandte sich um, auch der zweite Mann ließ Jamina aus den Augen und beugte sich über das Mädchen.
    »Hallo, was ist mit Ihnen? Können Sie mich hören?«
    Der Bärtige zückte sein Handy: »Ich rufe den Notarzt.«Jamina stand da, ihren Personalausweis in der Hand. Sie starrte auf das Mädchen, das sie jetzt ansah, mit der Hand winkte. Was machte die da? Wollte die ihr ein Zeichen geben?
    Während der eine Kontrolleur den Kopf des liegenden Mädchens höher bettete und der bärtige telefonierend auf und ab ging, fühlte sich Jamina irgendwie fehl am Platz. Keiner beachtete sie mehr, nicht einmal die Passanten, die kurz zu den helfenden Kontrolleuren sahen, dabei weitergingen oder die Rolltreppe hochfuhren.
    Da sprang das Mädchen auf, schubste den Kontrolleur weg, der sich über sie gebeugt hatte. Schnappte mit einer Hand den Seesack, mit der anderen Jaminas Arm und lief los, die Rolltreppe hinauf. Jamina wusste gar nicht, wie ihr geschah. Sie sah im Vorbeirennen einen verdatterten Mann, der auf dem Bahnsteig lag, der Bärtige mit dem Handy in der Hand glotzte fassungslos hinter ihnen her.
    »Festhalten«, rief der eine, der sich gerade mühsam hochrappelte. »Die beiden da, festhalten!«
    Die Fremde zog sie einfach mit. Und obwohl Jamina so etwas sonst nie gemacht hätte, ließ sie sich doch mitnehmen auf dieses Abenteuer, diese Flucht. Das Mädchen lief schnell, Jamina mit ihr. Sie sah die Gesichter der Passanten: verdutzt, fragend, irritiert, gleichgültig. Aber niemand hielt sie auf. Sie hätte es auch nicht getan, wenn jemand so atemlos, so voller Power an ihr vorbeigelaufen wäre. Innerhalb von Sekunden waren sie aus dem Sichtfeld der Kontrolleure verschwunden.Das Mädchen schien sich auszukennen. Hoch an die Oberfläche, dann die Leopoldstraße entlang, Jaminas Hand in ihrer. Halt machte sie erst zwei Straßenecken weiter, wo sie im Getümmel der Menschen untergingen.
    Sie lehnten beide an einer Mauer, ließen die Leute an sich vorüberziehen. Jamina musterte das dunkel gekleidete Mädchen genauer. Aus der Nähe sah sie viel jünger aus, kaum älter als sie selbst.
    »Hi, ich bin Yoyo«, sagte die Fremde.
    »Jamina.«
    »Schöner Name. Mit Jot oder mit Ypsilon?«
    »Mit Jot.«
    »Schade, sonst hätten wir schon mal was gemeinsam. Denn ich schreib mich mit Ypsilon.«
    »Yoyo ist ein richtiger Name?«
    »Ja. Meiner.«
    Jamina schwieg. Sie sah sich immer noch um, ob sie nicht doch verfolgt, von jemandem aufgehalten und der Schwarzfahrerei samt Flucht beschuldigt würden.
    Yoyo musterte Jamina einen Moment, dann grinste sie. »Hast du noch nie gemacht, oder?«
    »Ich hab meine Fahrkarte einfach nicht gefunden.«
    Yoyo lachte. »Ich hätte auch keine gehabt, aber mich haben sie ja gar nicht mehr kontrolliert, weil sie bei dir hängen geblieben sind.«
    Sie ist also doch der Typ, der schwarzfährt, dachte Jamina.
    »Okay, ich bin so eine.«
    Jamina wurde rot, weil sie das Gefühl hatte, die Fremdekönne ihre Gedanken lesen. Sie musterte Yoyo, halb irritiert, halb fasziniert. Nie zuvor hatte sie so jemanden kennengelernt.
    »Ich hab dich schon in der U-Bahn beobachtet«, erzählte Yoyo unbekümmert, während sie weitergingen.
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