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Splitter

Splitter

Titel: Splitter
Autoren: Sebastian Fitzek
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er und packte seinen Bruder am Arm. Dabei hielt er sich mit der anderen Hand an der Sprosse fest.
    »Ich hab dich«, log er. Er war müde, geschwächt, und sein ganzer Körper schmerzte. Marc konnte kaum sich selbst halten, geschweige denn seinen Bruder nach oben ziehen und über das Geländer zurückhieven. »Scheiße, selbst zum Sterben bin ich zu blöd«, sagte Benny. Marc warf ihm ein gequältes Lächeln zu und log schon wieder. »Ich schaff das schon!«
    »Vergiss es.«
    »Einen Scheiß werde ich.«
    »Lass mich los, oder wir gehen beide drauf.«
    Marcs Finger rutschten an dem glitschigen Kunststoff der regennassen Fliegerjacke ab, doch er hatte sie schnell wieder im Griff. Vorerst.
    Er sah nach unten, suchte nach Hilfe, doch das Klinikgelände war bei diesem Wetter wie ausgestorben. Ein Krankenwagen mit einem roten Kreuz auf dem weißen Dach parkte nutzlos fünfzig Meter weit entfernt.
    »Es tut mir leid«, hörte er seinen Bruder sagen, während er immer noch auf das Dach des Krankenwagens starrte. Ein unsinniger, alberner und völlig unpassender Gedanke löste sich in seinem Kopf, und er musste lachen.
    »Cross!«
    »Was ?«, fragte Benny.
    »Das Radio-Orakel. Der Sänger heißt Christopher Cross.« Benny sah nach oben und lächelte matt. Plötzlich sah er nicht mehr aus wie jemand, der an einer Klippe hängt und um sein Leben kämpft. Obwohl sein ganzer Körper ein einziger, angespannter Muskel war, wirkte er friedlich. Er hatte abgeschlossen.
    »Lass mich los«, bat er ein letztes Mal. All right. Marc nickte.
    Dann nahm er alle Kraft zusammen, packte seinen Bruder mit beiden Armen, auch wenn er dadurch selbst nun keinen Halt mehr fand. Aber er brauchte auch nur wenige Zentimeter, um Benny wenigstens ein Stück nach oben zu reißen. Er schaffte es nicht ganz so hoch, wie er es sich gewünscht hätte, doch besser ging es einfach nicht. Mehr Kraft steckte nicht mehr in seinen Knochen.
    Es war nicht optimal, und ein letztes Risiko blieb. Aber am Ende, in der allerletzten Sekunde, sagte ihm eine innere Stimme, dass sein Plan funktionieren würde, als er sich von dem Mauervorsprung abstieß und gemeinsam mit seinem Bruder in die Tiefe stürzte.
74. Kapitel
    Heute Das Feuer im Kamin hatte seine magnetische Wirkung nicht verloren. Während Haberlands Erzählungen hatte Marc kaum den Blick davon abwenden können, und die Flammen erschienen ihm jetzt sogar noch heller als zu Beginn seines Überfalls.
    Anfangs hatte er noch die Waffe auf den alten Mann im Ohrensessel gerichtet. Doch als dieser davon völlig unbeeindruckt immer eindringlicher mit der Schilderung fortfuhr, hatte er die Pistole auf den Couchtisch gelegt und sie zum Schluss vergessen. Jetzt, da Haberland geendet hatte und ihn mit erwartungsvollen Augen ansah, fühlte er sich erleichtert und furchterfüllt zugleich.
    So hat es sich zugetragen. Genauso ist es gewesen. Haberland hatte so bildhaft erzählt, dass die Erinnerungen wie ein Film vor seinem geistigen Auge abgelaufen waren. »Darf ich ein Glas Wasser haben, bitte?«, fragte er mit trockener Zunge. Es musste Stunden her sein, dass er etwas getrunken hatte. Sein Rachen fühlte sich rauh und staubig an. Merkwürdigerweise waren dafür viele andere negative Empfindungen weit in den Hintergrund gerückt. Seine ausgekugelte Schulter, die zersplitterten Rippen, die lockeren Zähne in seinem Mund sendeten nur noch stark gedämpfte Signale zu seinem Schmerzzentrum. Haberland tat so, als habe er Marcs Frage nicht gehört. »Sie stimmen mit mir also darin überein, dass Sie das alles wirklich erlebt haben?«
    Marc nickte schwerfällig.
    »Was veranlasst Sie dann, zu denken, Sie könnten den Verstand verloren haben?«
    Haberland beugte sich interessiert nach vorne. »Bitte, Sie müssen es mir sagen. Ich weiß nicht, was mit mir geschieht. »
    Marc sah an ihm vorbei in den Kamin mit den hellen, hohen Flammen, dann zum Fenster, vor dem es immer noch so finster war wie bei seiner Ankunft.
    »Woher wissen Sie das alles ?«, fragte er mit leiser, fast abwesender Stimme und musste an einen der ersten Sätze denken, mit denen Haberland ihn heute Nacht begrüßt hatte.
    »Ich wünschte wirklich, Sie wären früher gekommen. Jetzt wird die Zeit knapp.«
    »Waren Sie etwa auch nur ein Schauspieler, den Constantin beauftragt hat?«
    »Nein«, lächelte Haberland gutmütig. »Ganz im Gegenteil. Mit Emma war ich der Einzige, der nicht eingeweiht war. Benny hat Sie nur zu mir herausgebracht, damit ich mir Ihre Wunden
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