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Splitter

Splitter

Titel: Splitter
Autoren: Sebastian Fitzek
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bereits gezogen. Die Pistole mit beiden Händen umfassend. Den Lauf direkt in Bennys Mund.
70. Kapitel
    »Neeeein!«
    Marcs sämtliche Sinne waren in seiner Todesangst so angespannt, dass er glaubte, der Lärm würde seine Trommelfelle zerreißen.
    Dabei gab es keinen Knall, kein Blut und keine Gehirnreste, die die Vorhänge neben dem Fenster zur Terrasse besudelten. Nur ein metallischen Klacken wie bei einem billigen Kugelschreiber, aber selbst das war kaum zu ertragen. Möglicherweise war die Munition von minderer Qualität, und das feuchte Anzündhölzchen der Patrone hatte nicht reagiert, als der Bolzen traf. Oder es war erst gar keine Patrone in das Lager geschoben worden, weil Sand oder Dreck die Schließfeder blockiert hatten. Vielleicht lag es nicht einmal an der Schmelzwasserpfütze, in die Valka die Pistole vorhin geworfen hatte, und es gab noch einen ganz anderen Grund, weshalb das Projektil nicht durch Bennys Gehirn gejagt war und seine Schädeldecke zerfetzt hatte. Zumindest nicht beim ersten Versuch.
    Benny schob hektisch den Schlitten zurück und setzte ein zweites Mal an.
    »Neeeein!«
    Marc fühlte sich wie in einem dieser Alpträume, in denen man sich nur auf der Stelle bewegt und keinen Schritt vorankommt, um der Gefahr zu entgehen. Träge, als hielten ihn unsichtbare Gummibänder zurück, schlich er auf seinen Bruder zu. Die Zeit schien rückwärts zu fließen oder zumindest stehengeblieben zu sein. Nie hatte er so langsam einen Raum durchquert.
    In Wirklichkeit dauerte alles nicht einmal eine halbe Sekunde, dann hatte Marc den Schreibtisch erreicht, die schwere Messinglampe gepackt und sie mit dem Fuß voran gegen das Schienbein seines Bruders geschlagen.
    Benny sackte vor dem Fenster zusammen, die Hände vor den Beinen verschränkt. Er brüllte vor Schmerz. »Du Idiot!«, schrie er. »Du gottverdammter Idiot!« Marc griff sich die Pistole, die ihm vor die Füße gerutscht war. »Wieso ?«, schrie er, fast genauso laut wie sein Bruder. »Wieso willst du das tun?«
    »Begreifst du denn immer noch nicht?« Benny wippte wie ein Autist mit dem Oberkörper vor und zurück. Er presste die tränenden Augen zusammen, schrie in seine geballte Faust hinein. Und dann ergab endlich alles einen Sinn. »Du hast es auch!«
    »Was?«
    Benny wiederholte es noch einmal. Er spuckte die Worte einzeln aus, Sabber lief ihm das unrasierte Kinn hinab, und ein Speichelfaden zog sich bis zu seiner Brust.
    Natürlich.
    Ich habe es auch.
71. Kapitel
    Marc sah zur Terrasse und betrachtete sein Spiegelbild im Fenster, hinter dem die Schneeflocken tanzten. Es war offensichtlich, wenn man es wusste: die gelb unterlaufenen Augen, die Müdigkeit, immer stärker werdende Kopf-und Gliederschmerzen, Juckreiz. Alles Anzeichen einer Zirrhose.
    Vor ihm versuchte Benny, sich auf den Stuhl zu ziehen. »Deine Leber ist im Arsch«, keuchte er. »Nicht so schlimm wie bei deinem Sohn. Dem fehlen schon von Geburt an die Gallengänge. Dir bleibt etwas mehr Zeit, aber auch nicht mehr viel, Mare. Verstehst du?« Nein, tat er nicht. Sein Gehirn registrierte zwar alle Fakten, dennoch weigerte sich sein Verstand, die Zusammenhänge zu erkennen.
    »Du willst dich opfern?«, fragte er entgeistert. »Wir haben keine andere Wahl!«
    Benny hatte es bis auf den Stuhl geschafft und klammerte sich nun erschöpft an dessen Rückenlehne fest. »Der Leberschaden eures Babys wurde lange vor dem Unfall entdeckt. Auf dem Ultraschall, bei einer Routineuntersuchung in der Senner-Klinik«, erklärte er hastig. »Constantin war schockiert. Er erzählte weder dir noch Sandra etwas davon. Ihr solltet erst davon erfahren, wenn er einen passenden Spender gefunden hätte.«
    »Dich!«
    Benny nickte.
    »Zuerst hat er die offiziellen Spenderdatenbanken gecheckt und das Baby auf die Warteliste gesetzt. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass ein Säugling stirbt? Ein Baby mit einer kompatiblen Blutgruppe?« Null.
    »Also hat Constantin alle Verwandte überprüft, die als Spender in Frage kommen.«
    Marc nickte. Obwohl sich alles in ihm dagegen sperrte, begann sein Verstand langsam die richtigen Schlüsse zu ziehen. Darum also hatte ihn Constantin zu diesem Gesundheitscheck überredet; damals, drei Wochen vor dem Unfall. Seine Müdigkeit, die Übelkeit und die Gelenkschmerzen - Constantin hatte doch eine Ursache für die Symptome gefunden, sie ihm aber verheimlicht.
    »Unser Vater hat dir seinen Leberschaden vererbt, und du hast ihn an das Baby weitergegeben, Marc. Ich bin der
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