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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt
Autoren: Bernwald Schneider
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liebreizende Dame von gestern Abend, nach der ich im Moment vergeblich Ausschau halte.«
    »Allerdings«, bemerkte ich in einem um Leichtigkeit bemühten Ton, da sie eine wichtigtuerische Pause einlegte.
    »Sie hat ein Verhältnis mit ihm – mit Gustav Helmholtz.«
    »Ich habe es mir gedacht«, sagte ich, was ja auch stimmte, aber trotzdem fühlte ich einen leisen Stich.
    Frau von Tryska nahm einen Löffel von ihrem Dessert. »Sie begleitet ihn zu Dreharbeiten in Hollywood. Seine Frau musste zu Hause bleiben. Er hat sie wegen ihr verlassen.«
    »Woher haben Sie denn diese Informationen?«
    »Eine Dame, die ich hier an Bord kennengelernt habe, erzählte mir davon. Sie weiß es aus der Berliner Illustrierten, in der vor einiger Zeit darüber berichtet wurde.«
    »Wenn es in der Zeitung stand, muss es ja stimmen.«
    Sie zuckte die Achseln. »Es wird schon wahr sein. Und wie sollte es sich auch anders verhalten, nicht wahr? Ich kenne sogar ihren Namen. Sie heißt Irene Varo. Und von Berufs wegen ist sie Tänzerin und Artistin.« Sie beugte sich ein Stück vor und flüsterte verschwörerisch: »Sie und ihr Partner sollen in einem Berliner Varieté eine akrobatische Nummer geturnt haben, bei der sie beide nackt gewesen sind.«
    Ich konnte nicht verhindern, dass mich ein heißes Gefühl ergriff. »Ach, tatsächlich? Hm! Auch der Mann?«
    Frau von Tryska grinste. »In Berlin gibt es Lokale, in denen ist alles möglich. Das muss ich Ihnen bestimmt nicht erzählen.«
    »Ja«, brummte ich, »davon habe ich gehört.«
    Die Bar, in der ich am Abend mit Professor Wolfrath zusammentraf, lag im Zwischendeck. Einige Paare bewegten sich dort zu den amerikanisch klingenden Rhythmen und Melodien einer kleinen Tanzkapelle über ein gläsernes Parkett. Die Wände der Bar waren mit Tropenholz ausgeschlagen. Die Spiegelflächen, die in einigen Abständen das Holzmuster unterbrachen, verdoppelten die Palmengewächse, die davor in Kübeln standen, sowie auch die Reihe der mit schwarzem Leder bezogenen schmalen Armsessel und den dazugehörigen Tischchen, die am Boden festgeschraubt waren.
    »Noch zwei Hennessy?«, fragte der junge Kellner in weißer Livree, der nicht weniger adrett wirkte als die Erste-Klasse-Passagiere, die er zu bedienen hatte.
    »Ja, bitte«, sagte Wolfrath, der neben mir am Tresen saß. Sobald die Gläser kamen, erkundigte ich mich nach dem Ziel seiner Reise.
    »Ich bin auf dem Weg nach Boston«, antwortete er, »wo ich ein paar Vorträge zu halten habe. Vorher verbringe ich zwei Tage in New York.«
    Mir fiel ein, dass ich von Florence Arnheim, die ich in New York besuchen sollte, einmal gehört hatte, dass ihr Vater Professor der Geschichte gewesen war und dass die Familie ursprünglich aus Boston stammte. Ich erinnerte mich allerdings nicht daran, wie der Geburtsname von Florence lautete, sodass es mir im Moment nicht möglich war, Wolfrath zu fragen, ob er die Familie kannte.
    »Sie müssen ein berühmter Wissenschaftler sein, wenn man Sie sogar zu einer Vortragsreihe nach Amerika eingeladen hat«, wollte ich von ihm wissen.
    »Ich habe es weniger meinem Ansehen als meinen guten Kontakten nach drüben zu verdanken, dass man mich herbittet«, sagte der Professor in einer Bescheidenheit, die zu ihm passte. »Aber die Reise kommt mir gelegen. Ich bin froh, dass ich Deutschland für eine Weile verlassen kann.«
    »Das geht mir nicht anders«, erwiderte ich.
    Kaum hatte ich es gesagt, ging mir auf, dass die Bemerkung des kleinen Professors wohl in einem ganz anderen Sinne gemeint gewesen war, als es meine eigenen leicht dahin gesprochenen Worte zum Ausdruck brachten.
    »Und welchen Grund haben Sie selbst, froh darüber zu sein, Deutschland verlassen zu können?«, fragte Professor Wolfrath leise.
    »Nun, ich wollte nur sagen, dass ich die Annehmlichkeiten einer Reise im Verhältnis zum grauen Alltag meiner Berufstätigkeit sehr zu schätzen weiß«, erwiderte ich vorsichtig.
    Der Professor starrte eine Weile verloren in Richtung des Tanzparketts, dann sah er wieder zu mir und sagte: »Am 6. November wird in Deutschland gewählt. Werden Sie bis dahin in die Heimat zurückgekehrt sein?«
    »Ganz sicher! Allerdings habe ich meine Reisepläne nicht auf diese Wahlen abgestellt. Man wird des Wählens allmählich müde.«
    »Das sollten Sie nicht sagen!«, entfuhr es dem Professor in einem Tonfall, dessen Heftigkeit mich aufblicken ließ. »Die Leute müssen sich der radikalen Kräfte unbedingt erwehren. Viel zu viele scheinen zu
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