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Spin

Spin

Titel: Spin
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vermutlich in einem Zustand äußerster Erregung verbracht – für den Busfahrer oder den Angestellten in einem Burger-Restaurant aber war das alles mehr oder weniger warmes Wasser.
    Die englischsprachigen Medien bezeichneten es als den »October Event« – das »Oktober-Ereignis« (»Spin« hieß es erst ein paar Jahre später), und seine erste und offensichtliche Wirkung war die vollständige Vernichtung der Milliarden Dollar schweren Weltraumsatelliten-Industrie. Der Verlust der Satelliten bedeutete das Ende des Satellitenfernsehens, das Ende der Direktübertragungen per Satellit; er machte das gesamte Fernsprechsystem unberechen- und GPS-Lokalisierer unbrauchbar; er kappte das World Wide Net, ließ den Großteil der avanciertesten Rüstungstechnologie auf einen Schlag veralten, beschnitt die Möglichkeiten globaler Überwachung und Aufklärung und zwang die Wetteransager, Isobare auf Landkarten zu zeichnen, anstatt geschmeidig durch die von Wettersatelliten gelieferten CGI-Bilder zu gleiten. Wiederholte Versuche, Kontakt mit der Internationalen Raumstation aufzunehmen, waren erfolglos. In Canaveral (wie in Baikonur und Kourou) angesetzte kommerzielle Raketenstarts wurden auf unbestimmte Zeit verschoben.
    Es bedeutete, auf lange Sicht, eine ungute Entwicklung für GE Americom, AT&T, COMSAT und Hughes Communications, um nur einige zu nennen.
    Und tatsächlich ereignete sich viel Schreckliches in der Folge jener Nacht, wenn auch das meiste im Blackout der Medien unterging. Nachrichten verbreiteten sich wie Geflüster, zwängten sich durch transatlantische Fiberoptikkabel, anstatt durch den Weltraum zu hüpfen: es dauerte fast eine Woche, bis wir erfuhren, dass ein pakistanischer Hatf-V-Flugkörper mit nuklearem Sprengkopf, versehentlich oder auf Grund von Fehlberechnungen abgeschossen in den verwirrenden ersten Augenblicken des Ereignisses, vom Kurs abgekommen war und ein landwirtschaftlich genutztes Tal im Hindukusch ausgelöscht hatte. Es war der erste in einem Krieg gezündete atomare Sprengkörper seit 1945, und so tragisch dieser Vorfall war, konnten wir angesichts der vom Verlust der Telekommunikation verursachten globalen Paranoia froh sein, dass so etwas nur einmal passierte. Einigen Berichten zufolge standen wir damals kurz davor, Teheran, Tel Aviv und Pjöngjang zu verlieren.
     
    Vom Sonnenaufgang beschwichtigt, schlief ich bis mittags durch. Nachdem ich aufgestanden war und mich angezogen hatte, fand ich meine Mutter, noch in ihrem gesteppten Morgenmantel, im Wohnzimmer, wie sie mit gerunzelter Stirn auf den Fernseher starrte. Ich fragte sie, ob sie schon gefrühstückt hätte, und sie verneinte. Also bereitete ich uns beiden etwas zum Mittagessen.
    Sie wird in jenem Herbst fünfundvierzig Jahre alt gewesen sein. Hätte man von mir verlangt, sie mit einem Wort zu beschreiben, dann hätte ich vielleicht »ausgeglichen« gesagt. Sie war kaum einmal wütend, und das einzige Mal in meinem Leben, wo ich sie habe weinen sehen, war in der Nacht, als die Polizei bei uns klingelte (das war noch in Sacramento) und ihr mitteilte, dass mein Vater in der Nähe von Vacaville tödlich verunglückt war, auf der Heimfahrt von einer Geschäftsreise. Sie hat, glaube ich, großen Wert darauf gelegt, mir nur diesen Aspekt ihres Wesens zu zeigen. Es gab durchaus noch andere. Im Wohnzimmer stand ein gerahmtes Foto, Jahre vor meiner Geburt aufgenommen, das eine Frau zeigte, die so schön und furchtlos vor der Kamera stand, dass ich völlig von den Socken war, als sie mir sagte, es sei ein Porträt von ihr.
    Offensichtlich gefiel ihr nicht, was sie da im Fernsehen sah. Ein Lokalsender brachte Nachrichten nonstop, wiederholte von Kurzwellenradio und Amateurfunkern übermittelte Berichte und Geschichten sowie leicht verzerrte Ruhe-bewahren-Appelle seitens der Regierung. »Tyler.« Sie forderte mich mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. »Letzte Nacht ist etwas passiert. Es ist schwer zu erklären…«
    »Ich weiß. Ich hab davon gehört, bevor ich schlafen gegangen bin.«
    »Du wusstest davon? Und hast mich nicht geweckt?«
    »Ich war mir nicht sicher…«
    Aber ihre Verärgerung wich so schnell, wie sie gekommen war. »Ist schon gut, Ty. Vermutlich hab ich nichts verpasst. Es ist komisch… mir ist, als würde ich immer noch schlafen.«
    »Es sind nur die Sterne«, sagte ich, vollkommen idiotisch.
    »Die Sterne und der Mond«, korrigierte sie mich. »Hast du das mit dem Mond nicht gehört? Niemand kann mehr die Sterne
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