Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spin

Spin

Titel: Spin
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
und den Mond sehen.«
     
    Das mit dem Mond war natürlich ein wichtiger Hinweis.
    Ich blieb eine Weile bei meiner Mutter sitzen, gebannt auf den Fernseher starrend, dann stand ich auf (»Komm diesmal nach Hause, bevor es dunkel wird«, sagte sie mit ernster Miene) und ging zum Großen Haus hinüber. Ich klopfte an der Hintertür, der, die sonst Koch und Maid benutzten, wenn auch die Lawtons peinlich darauf bedacht waren, niemals von einem »Dienstboteneingang« zu sprechen. Es war auch die Tür, durch die meine Mutter an den Wochentagen das Haus betrat, um den Haushalt der Lawtons zu führen.
    Mrs. Lawton ließ mich herein, sah mich ausdruckslos an, winkte mich nach oben. Diane schlief noch, ihre Zimmertür war geschlossen. Jason hatte gar nicht geschlafen und anscheinend auch nicht die Absicht, es zu tun. Ich fand ihn in seinem Zimmer, vor dem Radio.
    Jasons Zimmer war eine Aladinsche Höhle voll luxuriöser Gerätschaften, dergleichen ich selber heiß begehrte, ohne doch die Hoffnung zu haben, sie jemals zu besitzen: der Computer mit einer ultraschnellen ISP-Verbindung zum Beispiel, oder der Fernseher, zwar aus zweiter Hand, aber doppelt so groß wie der, der unser Wohnzimmer schmückte.
    Nur für den Fall, dass er es noch nicht gehört hatte, informierte ich ihn: »Der Mond ist verschwunden.«
    »Interessant, nicht wahr?« Jason stand auf, streckte sich, fuhr sich mit den Fingern durch das ungekämmte Haar. Er hatte sich seit gestern Abend nicht umgezogen, was von einer für ihn ganz untypischen Geistesabwesenheit zeugte. Obwohl erwiesenermaßen ein Genie, hatte Jason sich in meiner Gegenwart noch nie wie ein solches benommen – will sagen, er benahm sich nicht wie die Genies, die ich aus dem Kino kannte: Er blinzelte nicht ständig, stotterte nicht, schrieb keine algebraischen Gleichungen an die Wände. Jetzt jedoch wirkte er mächtig zerstreut. »Der Mond ist natürlich nicht verschwunden – wie könnte er auch? Dem Radio zufolge werden die üblichen Gezeiten an der Atlantikküste gemessen. Also ist der Mond noch da. Und wenn der Mond noch da ist, dann sind es auch die Sterne.«
    »Aber warum können wir sie dann nicht sehen?«
    Er warf mir einen verärgerten Blick zu. »Woher soll ich das wissen? Ich sage nichts weiter, als dass es wenigstens teilweise ein optisches Phänomen ist.«
    »Sieh mal aus dem Fenster, Jase. Die Sonne scheint. Was soll das für ein optischer Trick sein, der die Sonnenstrahlen durchlässt, aber die Sterne und den Mond verschluckt?«
    »Noch einmal, wie soll ich das wissen? Aber was ist die Alternative, Tyler? Jemand hat Mond und Sterne in einen großen Sack gesteckt und ist damit weggelaufen?«
    Nein, dachte ich. Es war die Erde, die im Sack steckte, aus irgendeinem Grund, den nicht einmal Jason erraten konnte.
    »Trotzdem ein guter Hinweis«, sagte er, »das mit der Sonne. Keine optische Barriere, sondern ein optischer Filter. Interessant.«
    »Und wer hat ihn dort hingetan?«
    »Woher soll ich…« Er schüttelte gereizt den Kopf. »Deine Schlussfolgerungen gehen zu weit. Wer sagt, dass irgendjemand ihn dort hingetan hat? Es könnte ein Naturereignis sein, das einmal in einer Milliarde Jahren vorkommt, wie dass sich die Magnetpole umkehren. Es ist ein ziemlich großer Sprung zu der Annahme, dass irgendeine steuernde Intelligenz dahinter steckt.«
    »Es könnte aber der Fall sein.«
    »Vieles könnte der Fall sein.«
    Angesichts des Spottes, den ich für meine Science-Fiction-Vorliebe hatte einstecken müssen, vermied ich es, das Wort »Außerirdische« auszusprechen. Aber natürlich war es genau das, woran ich als Erstes denken musste. Ich und auch viele andere Leute. Und selbst Jason musste zugeben, dass die Möglichkeit, außerirdische Wesen wären hier am Wirken, nicht völlig an den Haaren herbeigezogen war.
    »Trotzdem«, sagte ich, »muss man sich fragen, warum sie so was tun würden.«
    »Es gibt nur zwei stichhaltige Gründe. Um etwas vor uns zu verstecken. Oder um uns vor etwas anderem zu verstecken.«
    »Was sagt denn dein Vater dazu?«
    »Ich habe ihn nicht gefragt. Er hängt den ganzen Tag am Telefon. Versucht wahrscheinlich, so schnell wie möglich eine Verkaufsorder für seine GTE-Aktien zu platzieren.« Das war offenbar ein Witz. Ich wusste nicht genau, wovon er redete, aber es war für mich der erste Hinweis darauf, was der verlorene Zugang zum Weltraum für die Luft- und Raumfahrtindustrie im Allgemeinen und für die Familie Lawton im Besonderen bedeutete. »Ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher