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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück
Autoren: Cathy Lamb
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ignorierte einen weiteren Schuss, hüpfte in seinen Wagen, gab Gas und raste davon.
    Er ward nie wieder gesehen.
    Stash ist der einzige Mann in der Stadt, der Tante Lydia beim Poker schlagen kann, weshalb ein Schwein nach ihm benannt ist. Keiner lässt sich mehr auf ein Spiel mit Tante Lydia ein, es sei denn, es geht nur um Pennys. Außer Stash.
    Tante Lydia behauptet, er würde mogeln. Stash ist ein Mann mit grauem Bart und Glatze und der Statur eines Bullen. Seine Augen lachen immer, und wenn ich als Kind bei Tante Lydia zu Besuch war, kam er jedes Mal vorbei und brachte mir Obst oder Süßigkeiten mit. Tante Lydia schenkte er eine Pflanze oder neue Kräuter für die Fensterbank, zweimal sogar Parfüm.
    Einmal brachte er einen kleinen Geschenkkarton mit, in dem etwas Seidenes lag. Tante Lydia stopfte es ganz schnell zurück, band die Schleife zu und warf Stash das Kästchen an den Kopf. Noch nie habe ich Stash so laut lachen hören. Er ließ das Kästchen auf dem Esszimmertisch stehen.
    Stash besitzt Hunderte Hektar Ackerland, und zwar rund um Lydias zweieinhalb Hektar. Sein Betrieb heißt »Oregons Naturprodukte«, und er verkauft seine Ware in ganz Amerika. Er hat Erntehelfer und »Firmenhelfer«, wie er sie gerne nennt, die ihn dabei unterstützen, seinen Betrieb zu führen.
    Jedes Mal, wenn er zu Besuch kommt, tut Tante Lydia, als sei sie böse. »Hörst du bitte auf, mich so anzustarren, Stash«, fährt sie ihn dann an, und er lacht. »Ich kann den Blick nicht von einem Lichtstrahl abwenden«, erwidert er immer, lehnt sich in seinem Stuhl zurück und betrachtet meine Tante, wie sie in der Küche herumfuhrwerkt oder mit ihren Pflanzen spricht.
    Wann immer es geht, fährt Stash ihr mit den Fingern durch das dichte, ergrauende Haar oder drückt ihren schlanken Körper an sich. Hin und wieder lässt sie es zu, aber meistens
schlägt sie seine Hand fort und sagt, er solle sich benehmen, es sei ein Kind im Haus. Uninteressant, dass ich schon zweiunddreißig bin.
    Bevor er geht, küsst er Lydia immer mitten auf den Mund und sagt ihr, was er vorhat. »Morgen lass ich den hinteren Hektar pflügen, Lydia Jean«, oder: »Ich schicke die Jungs rüber, damit sie am Donnerstag den Mais ernten«, oder: »Wenn du noch mehr Marmelade machst, verkaufe ich sie am Samstag für dich auf dem Markt.«
    »Verschwinde von meinem Land!«, ruft Tante Lydia, wenn die Fliegenschutztür hinter ihm zuschlägt. Ich weiß, dass sie es nicht so meint, weil sie ihr Lächeln kaum verbergen kann. Stash geht nie ohne frischgebackenes Brot oder ein Glas von Lydias Gelee nach Hause.
    Ich weiß eigentlich nicht genau, warum Tante Lydia ein Schwein nach Stash benannt hat, ich weiß nur, dass sie das Pokern wirklich ernst nimmt und nicht gut verlieren kann.
    Jedenfalls fallen die Schweine allen auf, die an der Farm vorbeifahren. »Was soll ich mit einem langweiligen Vorgarten?«, hatte Tante Lydia schon mehrmals erklärt. »Das Leben ist zu kurz zum Langweilen, und Schweine sind nicht langweilig.«
    Tante Lydia besitzt auch ein echtes Schwein namens Melissa Lynn, dazu unzählige Sittiche und Liebesvögel, die sie zweimal täglich aus dem Käfig lässt, damit sie im Haus umherfliegen und ihre Muskeln kräftigen können. Erstaunlicherweise sind sie meistens bereit, in ihre Käfige zurückzukehren.
    Tante Lydia übt täglich schießen und reinigt ihr Gewehr nach dem Training. Sie liebt jede handwerkliche Tätigkeit und hat im Keller ein bisschen Marihuana angebaut. »Gegen meine Darmentzündung«, sagt sie, obwohl sie seit Jahrzehnten nicht beim Arzt war.
    Tante Lydia ist der einzig zuverlässige Mensch in meinem Leben, und in ungefähr drei Tagen würde ich bei ihr vor der Tür stehen, wenn ich keine großen Pausen einlegte.
    Ich wischte mir die Tränen aus dem Gesicht; ich hatte gar nicht gemerkt, dass ich weinte. Dann drückte ich das Gaspedal durch, auch wenn die Furcht an meinem Magen nagte wie ein riesiger Vogel.
    Ich brauchte mir keine Sorgen mehr über die Größe meines Hinterns zu machen. Robert war weg, und ich wollte nichts mehr von Männern wissen. Gar nichts. Wieder wischte ich mir über die Augen. Blöde Männer. Blöd, gemein, brutal und egoistisch. Es ist ein Wunder, dass die Welt noch nicht in die Luft geflogen ist, wo doch so viele Männer an der Regierung sind. Hm, konnte ja noch kommen.
    Der Wind blies mir um den Kopf, und spontan riss ich mir das Gummiband aus den mittelblonden Locken und ließ sie zum ersten Mal seit zwei Jahren in
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