Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)

Titel: SPIEGEL E-Book: Best of SPIEGEL:Ausgezeichnete SPIEGEL-Autorinnen und Autoren des Jahres 2012 (German Edition)
Autoren: Georg Mascolo
Vom Netzwerk:
Diakonie will man angeblich nicht wissen, was jahrzehntelang unter ihrer Verantwortung geschehen ist.
    Dabei liegen die letzten dieser Fälle gar nicht so lange zurück. So wurden Kinder im "St. Joseph-Haus" in Seligenstadt noch 1992 blutig geschlagen. Und im katholischen Stift zu Eisingen bei Würzburg wurden sie noch im Jahr 1995 beispielsweise zur Strafe in Badewannen mit kaltem Wasser gesteckt.
    Doch vor allem von 1945 bis etwa 1970 wurden die schlimmsten Pädagogikvorstellungen der Nazi-Zeit in der kasernierten Fürsorgeerziehung nahezu ungebrochen fortgesetzt. Erst die "Heimkampagne" der Apo und vereinzelte, auch von Ulrike Meinhof unterstützte "Befreiungsaktionen" leiteten Reformen ein.
    Auf einer Tagung über katholische Heimerziehung beschrieb 1959 der Frankfurter Jesuitenpater Karl Erlinghagen seinen Brüdern und Schwestern Erziehern, mit wem sie es in den Heimen zu tun hätten: "Die Menschen, die Sie vor sich haben, seien sie nun Psychopathen, seien sie kriminell, seien sie irgendwie sinnesgeschädigt, auch ganz normal, diese Menschen leiden unter dem gleichen Fluch der Erbsünde, unter dem die ganze Menschheit leidet."
    Den Fluch der Erbsünde bekämpften die unbarmherzigen Schwestern in Dortmund vor allem mit akkordähnlicher Arbeit. Gisela Nurthen wurde schon bald in jenen Trakt beordert, in dem Dutzende Mädchen mit gesenktem Blick nähten und stopften, wuschen, mangelten und bügelten. Dabei herrschte Sprechverbot, nur Marienlieder waren erlaubt. Arbeitsbeginn war sechs Uhr. Bis zu zehn Stunden schuftete die 15-Jährige fortan im immer gleichen Takt – erst beten, dann mangeln.
    Schon die geringsten Verfehlungen, erinnert sich die Frau, hätten Schläge oder andere Bestrafungen durch die Nonnen nach sich gezogen. "Wir wurden nummeriert und durften nur in Zweierreihen durchs Haus marschieren – zur Kirche, zur Toilette, zum Essen." Als sie im Schlafraum ein Elvis-Lied summte, musste Nurthen zur Einzelhaft in die "Klabause", eine Isolationskammer mit Pritsche und Eimer. Dem Essen wurden Medikamente untergemischt – welche das waren, hat sie nie erfahren.
    Die hauseigene Großwäscherei war für die Schwestern ein lukratives Geschäft. Die Arbeit bringe, so der "Kirchliche Anzeiger", einen "nicht unerheblichen Teil" der Kosten ein. Dortmunder Hotels, Firmen, Krankenhäuser und viele Privathaushalte zahlten gut – und fragten nicht, wer da fürs Reinwaschen missbraucht wurde. "Die Kunden bekamen uns nie zu sehen, es gab einen Abholraum, zu dem war uns der Zutritt streng verboten." Lohn für die Mädchen gab es keinen, nicht mal Taschengeld – und als Folge auch keinen Rentenanspruch für diese Jahre. "Wir waren jugendliche Zwangsarbeiter", sagt Gisela Nurthen. "Mein Platz war an der großen Heißmangel. Das stundenlange Stehen in großer Hitze, das ständige Falten großer Bettwäsche ließ sämtliche Glieder schmerzen. In Zweierreihen trotteten wir abends schweigend in den Gängen zurück wie geprügelte Hunde."
    "Jede Minute des Tages wurden wir bewacht, auch während des Entkleidens zur Nacht, jede Schamgrenze wurde verletzt. Sie spielten mit Schlüsseln oder Rosenkränzen und fixierten unsere jungen Körper." Die "Barmherzigen Schwestern" referierten dann gern darüber, wie man sich wirklich "unten reinwäscht", und kontrollierten es auch.
    Den jungen "Sünderinnen" wurden immer wieder die heiligen Vorbilder vor Augen geführt, die "Blutmale der heiligen Therese von Konnersreuth", Märtyrer, die lieber Folter ertrugen, als sich vom Glauben abzuwenden, oder die heilige Agnes, die sich geopfert habe, um ihre "Unversehrtheit" zu bewahren.
    In ihrer Not empfanden es die Jugendlichen schon als Wohltat, zur Arbeit in die Großküche im Keller abkommandiert zu werden. "Das war der Traum aller, denn dort hielten sich die wenigsten Nonnen auf. Man konnte miteinander flüstern, wenigstens bis man die rasselnden Schlüsselbunde der verhassten Spitzhauben hörte", erzählt Gisela Nurthen.
    Aber fast immer sei es um das alltägliche Elend gegangen, um geplante Ausbrüche, um Selbstmordversuche, etwa mit geschmuggelten Scheren aus der Nähstube oder Messern aus der Küche, um Sprünge aus den Fenstern oder auch um tatsächliche Suizide.
    Es gibt heute kaum noch zugängliche Unterlagen über die düstere Realität in den Erziehungsheimen, die so friedfertige Namen trugen wie "Jugendheim Marienhausen" oder "Zum guten Hirten". Der Münchner Monsignore Alois Hennerfeind pries 1959 das Engagement der katholischen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher