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Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802

Titel: Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Autoren: Johann Gottfried Seume
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Stadt. Die Meinungschen Orter und Dörfer, durch die ich ging, zeichneten sich immer sehr vorteilhaft aus. Das einzige, was mir dort nicht einleuchten wollte, war, daß man überall so viel herrliches Land mit Tabakspflanzungen verdarb. Dieses Giftkraut, das sicher zum Verderben der Menschen gehört, beweist vielleicht mehr als irgend ein anderes Beispiel, daß der Mensch ein Tier der Gewohnheit ist. In Amerika, wo man noch auf fünfhundert Jahre Land genug hat, mag man die Pflanze auf Kosten der Nachbarn immer pflegen, aber bei uns ist es schlimm wenn man durchaus die Ökonomie mehr merkantilisch, als patriotisch berechnet.
    Ich ließ mich den andern Morgen meinem Freunde ohne meinen Namen als einen Bekannten melden, der von Frankfurt käme. Wir hatten uns seit neunzehn Jahren nicht gesehen, und unser letztes Gespräch waren einige Worte auf dem Ozean, als der Zufall unsere Schiffe so nahe zusammenbrachte. Die Zeit hatte aus Jünglingen Männer gemacht, im Gesichte vielleicht manchen Zug verändert, verwischt und eingegraben. Ich wußte, vor wem ich stand, und konnte also nicht irren. Er schien schnell seinen ganzen dortigen Zirkel durchzugehen, stand vor mir und kannte mich nicht. »Hier habe ich ein kleines Empfehlungsschreiben«, sagte ich, indem ich ihm meinen Finger hinhielt, an dem sein Bild von ihm selbst in einem Ringe war. Es war, als ob ihn ein elektrischer Schlag rührte; er fiel mir mit meinem Namen um den Hals und führte mich im Jubel zu seiner Frau. Dieses war wieder eine der schönsten Minuten meines Lebens. Einige Tage blieb ich bei ihm und seinen Freunden und genoß, soweit mir meine ernstere Stimmung erlaubte, der frohen Heiterkeit der Gesellschaft.
    Mir ist es oft recht wohl gewesen, wenn ich durch das Gothaische und Altenburgische ging. Man sieht fast nirgends einen höhern Grad von Wohlstand. Es herrscht daselbst noch eine gewisse alte Bonhommie des Charakters, daß ich viele Gesichter fand, denen ich ohne weitere Bekanntschaft meine Börse hätte anvertrauen wollen, um sie an einen bezeichneten Ort zu bringen, wo ich sie sicher wiedergefunden haben würde. Ich habe in diesem Ländchen weniger Bekanntschaft als sonst irgendwo, Du kannst also glauben, daß ich nicht aus Gefälligkeit rede. Sooft ich darin war, habe ich immer die reinste Hochachtung und Verehrung gegen den Herzog gefaßt. Um einen Fürsten zu sehen, braucht man nicht eben seine Schlösser zu besuchen oder gar die Gnade zu genießen, ihm vorgestellt zu werden. Oft sieht man da am wenigsten von ihm. Seine Städte und Dörfer und Wege und Brücken geben die beste Bekanntschaft – vorausgesetzt, er ist kein junger Mann, der die Regierung erst antrat. In diesem Falle könnte ihm viel Gutes und Schlimmes unverdienterweise angerechnet werden. Wo das Bier schlecht und teuer und das Brot teuer und schlecht ist, so ich die Dörfer verfallen und elend und doch die Visitatoren nach dem Sacke lugen sehe, da gehe ich so schnell als möglich meines Weges. Nicht das Predigen der Humanität, sondern das Tun hat Wert. Desto schlimmer, wenn man viel spricht und wenig tut.
    Schon in Paris hatte ich gehört, die Preußen wären in Erfurt, und wunderte mich jetzt, da ich sie noch nicht hier fand. Diese Saumseligkeit ist sonst ihre Sache nicht, wenn etwas zu besetzen ist. Fast sollte man glauben, die langsame Bedächtlichkeit habe einen pathologisch moralischen Grund. Hier erinnerte mich ein heimlicher Ärger, daß ich ein Sachse bin. Ich hielt mir lange Betrachtungen über die Großmut und Uneigennützigkeit der königlichen Freundschaften; ich verglich den Verlust des Königs mit seinem Gewinn; ich überdachte die alten, rechtlichen Ansprüche, die Sachsen wirklich noch machen konnte und machen mußte. Wenn Sachsen eine Macht von hunderttausend Mann wäre, so würde die gewöhnliche Politik das Verfahren rechtfertigen. Jetzt mag es alles sein, was Du willst, nur ist es nicht freundschaftlich. Mir deucht, daß man in Dresden doch wohl etwas lebendigere, wirksamere Maßregeln hätte nehmen können und sollen. Es war alles vorauszusehen. Die Leipziger werden die Folgen spüren. Freilich wird man vielleicht die ersten zehn Jahre nichts oder wenig tun, aber man hat doch nun die Kneipzange von beiden Seiten in den Händen und kann sicher das
festina lente
spielen. Politisch muß man immer das Schlimmste denken und glauben; was geschehen kann, wird geschehen. Die Geschichte und das Naturrecht rechtfertigen diese Maxime, in bürgerlichen Verhältnissen ist
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