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Spaziergang im Regen

Spaziergang im Regen

Titel: Spaziergang im Regen
Autoren: Alison Barnard
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Person, die sie sich ausgedacht hätte – wenn sie es denn gemusst hätte –, um ihre eigene Persönlichkeit zu ergänzen. Er war gelassen, sie intensiv, er mochte körperlich anspruchsvolle Aktivitäten, wohingegen sie hochgeistige Dinge bevorzugte. Er liebte es, sie im Scheinwerferlicht über den roten Teppich zu führen, und sie verabscheute diesen Aspekt ihres Berufes. Er dachte nicht viel darüber nach, wie er in Erscheinung trat, und sie war völlig paranoid, wenn es darum ging, wie sie sich in der Öffentlichkeit zeigte. Arbeit war für ihn etwas, was man tat, weil man es tun musste, sie aber neigte dazu, sich vollkommen darauf zu konzentrieren und alles andere zu vernachlässigen. Er ging auf die Menschen zu und liebte Geselligkeit, während Shara es prinzipiell vorzog, zu Hause zu bleiben, bei einem guten Buch und guter Musik. Je nach Tag wirkten ihre Unterschiede entweder ausgleichend oder führten zu fast unerträglichen Querelen.
    »Und du?« fragte Derek. »Hast du irgendwas vor? Du kannst gern mit uns fahren, wenn du keine Pläne hast.«
    Shara überkam für einen Moment Panik, aber dann fiel ihr ein, dass sie eine legitime Ausrede hatte. »Danke, Schatz, aber ich muss mich weiter auf meine neue Rolle vorbereiten. Heute Nachmittag habe ich Klavierstunden, und danach werde ich wahrscheinlich ein paar DVDs von Barenboim und Karajan anschauen.«
    »Ist es nicht genug, dass du volle sechs Wochen darauf verwendest, dieser Frau hinterherzulaufen? Wie schwierig kann das schon sein, eine Lesbe zu spielen, die sich bei der Arbeit in Männerklamotten verkleidet?«
    Shara presste die Lippen aufeinander, und ihre Nasenflügel bebten. Derek verachtete ihre Arbeit oft, aber für gewöhnlich konnte er es besser verbergen. Mit Mühe unterdrückte sie den Impuls, ihn anzuschnauzen. »Ich werde eine Person verkörpern, die unter den Lebenden weilt, und die noch nicht einmal den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht hat. Ich will der Rolle gerecht werden, und ich will mit meiner Darstellung Respekt für die Frau zum Ausdruck bringen, die zu sein ich vorgeben werde. Das bedeutet Musiktraining und ein Verständnis für ihr Leben zu bekommen. All das nimmt eine Menge Zeit in Anspruch, aber es ist eine Ehre, diese Gelegenheit zu bekommen, und ich will so perfekt wie möglich sein.«
    »Mit einem Wort gesagt: dein Lebensmotto, nicht wahr, Shara? So perfekt wie nur möglich zu sein?«
    »Höre ich da Kritik?«
    »Nein, nicht wirklich. Aber das ist ein ziemlich dicker Brocken für gewöhnlich Sterbliche.«
    »Derek, ich gebe mir alle Mühe, mich auf eine Rolle vorzubereiten, die mir viel abverlangt. Habe ich dich je um mehr gebeten, als zu verstehen, warum ich für eine Weile fort muss?«
    »Eine Weile? Du bist ganze sechs Wochen lang weg! Und, soweit ich das recht verstehe, wirst du in der Zeit mit einer Lesbe leben.«
    »Du weißt ganz genau, dass ich nur im rein praktischen Sinn mit ihr leben werde. Ich möchte Einsicht in ihre Gewohnheiten und Belastungen bekommen und verstehen, welchen Einfluss das auf ihre Gefühle hat. Verschlossen wie sie ist, grenzt es an ein Wunder, dass sie dem zugestimmt hat, denn es bereitet ihr mit Sicherheit einige Unannehmlichkeiten.«
    »Na, da bin ich aber froh, dass du dir wenigstens um ihre Unannehmlichkeiten Gedanken machst. Ich kann mich nämlich nicht erinnern, dass du meine bedacht hast, bevor du diese Rolle übernahmst.«
    »Ist es das, was dich so wurmt? Dass ich vor dem Vorsprechen nicht deine Erlaubnis eingeholt habe? Für eine Rolle, von der ich fasziniert bin, seit ich die Biographie gelesen habe, die als Vorlage für den Film dient? Wann hast du jemals Interesse für meine Karriere gezeigt, dass ich ermutigt wäre, meine zukünftigen Rollen mit dir zu besprechen? Ich lasse mich gern eines Besseren belehren, aber jedesmal, wenn ich mit dir über Drehbücher spreche, die ich gerade durchlese, scheinst du dich gedanklich zu verabschieden.«
    Derek schaute leicht betreten; offensichtlich hatte er angenommen, seine Langeweile besser überspielt zu haben. »Hör mal, ich sage ja nur, dass eine sechswöchige Abwesenheit etwas ist, das wir vorher hätten besprechen sollen.«
    »In diesen sechs Wochen kannst du mich besuchen, sooft du willst. Du kannst nicht über Nacht bei mir bleiben, aber soweit ich es richtig verstanden habe, übt die gute Frau täglich zwei Stunden Klavier, verwendet Zeit aufs Komponieren und probt jeden Wochentag zwischen zwei und vier Stunden mit dem Orchester;
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