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SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)

Titel: SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
Autoren: Michael Winterhoff
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kein Einzelfall, auch die Häufigkeit solch heftiger Ausnahmen nimmt in einem Maße zu, dass man bald schon nicht mehr von Ausnahmen sprechen kann. Ich beschreibe ihn hier, weil er in vielerlei Hinsicht mustergültig zeigt, worüber ich spreche: Der Junge hat keinen schwierigen sozialen Hintergrund, kommt nicht aus einer »Unterschichtfamilie« (wie auch immer man diesen Begriff definieren mag). Es besteht kein Migrations- beziehungsweise kultureller Hintergrund, der für Schwierigkeiten sorgen könnte. Er ist leicht überdurchschnittlich intelligent, die Eltern haben sich auch nach der Trennung große Mühe mit der Erziehung gegeben.
    Trotzdem gibt es hier nicht nur kleinere Probleme, sondern wir haben es auch mit einem massiv auffälligen Jugendlichen zu tun. Seine Taten und Aussagen lassen einen eigentlich verzweifelt nach Gründen im sozialen Background suchen, die man aber nicht findet. Dafür zeigt sich in extremer Form die Folge einer nicht vorhandenen emotionalen und sozialen Kompetenz aufgrund einer starken Entwicklungsverzögerung im Bereich der Psyche. Maximilian fehlen, genau wie Dennis, Empathie, Gewissensinstanz und Konfliktfähigkeit. Diese Fähigkeiten stehen nicht in direktem Zusammenhang mit Intelligenz und können deshalb auch nicht einfach beigebracht oder erlernt werden. Es nützt nichts, dem Jungen ins Gewissen zu reden und ihm zu erklären, warum er sich so nicht verhalten kann. Er wird es nicht verstehen.
    Es gibt weitere Beispiele, die nicht mit Gewalt und Kriminalität verbunden sind, aber ebenfalls aus einer nicht vorhandenen sozialen Kompetenz entstehen. So etwa der des fünfzehnjährigen Bernhard, der seit etwa sieben Wochen nicht mehr zur Schule geht und dies ohne nähere Erläuterung damit begründet, es ergehe ihm dort schlecht. Die Eltern kommen mit ihm zu mir, damit ich herausfinde, was mit ihm los ist, und eine Therapie einleite.
    Als ich im ersten Gespräch nach dem Tagesablauf daheim frage, stellt sich heraus, dass dieser fast jeden Tag gleich ist: Bernhard schläft lange, steht am späteren Nachmittag gegen 17.00 Uhr auf, setzt sich an seinen Computer und beginnt zu spielen und zu chatten. Das zieht sich durch die ganze Nacht. Wenn die Eltern morgens aufstehen, um zur Arbeit zu gehen, legt Bernhard sich ins Bett und schläft wiederum bis zum Nachmittag.
    Als ich die Eltern frage, warum sie ihrem Sohn nicht den Computer wegnehmen, um zumindest mal wieder einen Anfang zu machen und einen Kontakt zu ihm zu bekommen, antworten sie ernsthaft, das sei nicht möglich, den habe er erstens selbst bezahlt, und zweitens brauche er ihn für die Schule. Auch der Hinweis darauf, dass Bernhard ja gerade wegen des exzessiven Computergebrauchs gar nicht in die Schule gehe und sie unter anderem deshalb zu mir gekommen seien, überzeugt sie nicht. Sie warten weiter darauf, dass ich herausfinde, was ihr Kind wohl Schlimmes in der Schule erlebt haben mag. Denn nur das könne schließlich der Grund für sein Verhalten sein.
    Wenn ich diesen imaginären Grund dann gefunden habe, erwarten die Eltern von mir, dass ich etwas aus der Schublade zaubere, das für schnelle Heilung sorgt. Diese Therapie führt dann in der Vorstellung der Eltern dazu, dass das Kind wieder in die Schule geht und alles in Ordnung ist.
    Diese Vorstellung beschreibt ein gravierendes Problem: Eltern in der Symbiose. Sie nehmen ihren Sohn nicht als Sohn und somit eigenständigen Menschen wahr, sondern als erkrankten Teil ihrer selbst. Und damit geht man natürlich zum Arzt, der ihn behandeln und heilen soll.
    Das sind nur zwei Beispiele aus meiner Praxis von vielen, vielen ähnlichen und doch immer wieder unterschiedlichen Fällen. Was sie fast alle eint, ist ihr Hintergrund: eine nicht dem Alter entsprechend entwickelte emotionale Psyche.
    Bevor ich dazu komme, welche Verantwortung Eltern, aber vor allem auch Kindergarten und Schule heute und in Zukunft für die Entwicklung und auch Nachreifung der kindlichen Psyche tragen, will ich skizzieren, wie wir uns die Entwicklung dieser Psyche in etwa vorstellen müssen.

Die emotionale und soziale Entwicklung der menschlichen Psyche
    Wovon spreche ich eigentlich, wenn ich auf eine »nicht entwickelte emotionale Psyche« und die daraus entstehenden Probleme bei Kindern und Jugendlichen hinweise? Psyche kann man nicht sehen. Aus diesem Grund tun wir uns prinzipiell schwer damit, zu akzeptieren, dass im Bereich der Psyche etwas außerhalb des üblichen Zustands liegt. In den letzten Jahren
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