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Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende
Autoren: Aufbau
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Immer fand er Desdemona an seiner Seite. Beim ersten Besuch sprang sie vom Stuhl auf, als hätte Tom sie bei etwas Verbotenem ertappt. Am zweiten Tag sagte sie nur: »Hallo, Tom, wie geht’s?« Am dritten Tag hielten sie und Wladimir Händchen und sahen überglücklich aus. Desdemona hatte ihm einen Quark mit frischen Nektarinen zubereitet, der in einer Tupperdose auf dem Bettrand stand. Sie fütterte ihn, als hätte er sich nicht ins Bein, sondern in den Arm geflext. Wenn etwas danebenging, fingen sie an zu glucksen.
    Nach fünf Minuten entfernte Tom sich wieder.
    ***
    Drei Wochen später übergab Tom die fertig renovierte Wohnung an den Professor.
    »Sehr schön«, fasste Tibatong die Eindrücke zusammen, während er mit seinen frisch verwachsenen Zehen durch die Zimmer humpelte.
    »Diese Wohnung wird meiner Inspiration Schwingen verleihen.«
    Als wäre es nicht so schon schlimm genug.
    Er überreichte Tom das Geld in einem Umschlag. Zweiundzwanzigtausend Euro. Schwarz. In bar. Viertausend musste Tom für Material abziehen, blieben neun für jeden. Das würde eine Weile reichen. An der Tankstelle guckte man ihn schief an, weil er den Champagner mit einem Tausender zahlte, aber er hob nur die Schultern und sagte: »Hab’s nicht kleiner.«
    Mit sechzehn hatte er davon geträumt, mal so etwas zu sagen. Jetzt aber war es zu spät, er kam sich nur albern dabei vor. Unter anderen Umständen hätte er es vielleicht genießen können, aber die Trennung von Helen lag nicht mal vierzehn Tage zurück.
    Nachdem er seine Tasche gepackt und zu Paul gezogen war, hatte es noch einmal zwei Wochen gedauert, in denen er und Helen endlose Nicht-Gespräche geführt hatten, bis sie schließlich einsehen mussten, dass sie auf der Stelle traten, und ihre Verbindung offiziell für gescheitert erklärten. Das war am 20.   09.   2009. Lara hätte wahrscheinlich die Zahlen verantwortlich gemacht.
    Desdemona öffnete die Tür, Wladimir und sie waren inzwischen ein richtiges Paar. Auf dem Tisch in der Küche brannten Kerzen. Sie hatte Pasta gekocht, auf
seinem
Herd. Das musste ein großes Opfer für ihn gewesen sein. Seine Krücke lehnte an der Tischplatte.
    |199| »Setz dich doch«, sagte sie. »Möchtest du etwas mitessen?«
    »Nein, danke, ich wollte nur ein Glas Schampus mit euch trinken.«
    Es fühlte sich unschicklich an, mit ihr den Geldsegen zu feiern, den ihr Vater gerade über ihnen hatte niedergehen lassen – wie verpetzen.
    »Was gibt’s denn?«, wollte Wladimir wissen.
    »Geld gibt’s.«
    Tom nahm den Umschlag aus der Tasche und zählte ihm achtzehn Fünfhunderter ab. Wladimirs Begeisterung darüber, dass Tom in seiner Abwesenheit den Job alleine zu Ende gebracht hatte, hätte euphorischer ausfallen können.
    »Danke.«
    »Bitte. Wie geht’s deinem Bein?«
    »In vierzehn Tagen bin ich wieder einsatzbereit. Ich hab’ schon mit Konrad gesprochen, die haben jede Menge Arbeit für uns.«
    Im »Kartell« war Konrad der einzige Hetero, auch wenn das auf den ersten Blick kaum zu erkennen war. Er trug die gleichen Kaschmirsakkos wie seine Kollegen, und seine empfindsamen Gesichtszüge wurden jeden Morgen von außerordentlich feingliedrigen Fingern rasiert. Alles, was Tom von ihm wusste, war, dass er seit drei Jahren unsterblich in dieselbe Frau verliebt war – unerwidert.
    »Ich weiß nicht«, sagte Tom nach einigem Zögern. »Viel leicht steige ich lieber aus.«
    In den vergangenen Tagen hatte Tom immer öfter gedacht, dass Tibatong vielleicht ihr letzter gemeinsamer Auftrag wäre. So, als müsste die Trennung von Helen auch das Ende der Zusammenarbeit mit Wladimir bedeuten. Betretenes Schweigen. Desdemona sah unglücklich aus. Sie mochte Tom und fand, er hatte einen guten Einfluss auf Wladimir.
    Wladimir: »Meinst du nicht, du übertreibst es ein bisschen? |200| Nur, weil ihr euch getrennt habt, musst du doch nicht gleich dein ganzes Leben umkrempeln.«
    »Komisch, dass du davon sprichst. Ich habe auch schon überlegt, ob das miteinander zu tun hat.«
    »Und zu welchem Schluss bist du gekommen?«
    »Zu keinem, wie immer.«
    »Was willst du denn sonst machen?«
    »Ich weiß noch nicht.«
    Sie leerten die Flasche, dann ließ Tom sie allein. Über die Trennung von Helen zu reden trübte nur ihr junges Glück.

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    |201| Abwärts
    Eine neue Wohnung zu finden erwies sich als einfach. Das »Kar tell « war voll des Mitleids und beraumte ein außerordentliches Meeting an. Sie versammelten sich um ihren ovalen
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