Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnenwende

Sonnenwende

Titel: Sonnenwende
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
Stimme:
    »Ach Tom!«
    »Morgen um zehn in alter Frische im Epikur, ich weiß!«
    »Und grüß Helen.«
    Tom? Helen? Ada musste aussehen, als sei sie einem Gespenst begegnet, so ungläubig, wie er sie jetzt ansah. War das etwa der Tom, von dem die Frau im Krankenhaus gesprochen hatte? Er sah so anders aus als der Arzt. Ganz zerzaust und ungepflegt und irgendwie … gebrochen. Als ob er krank wäre, Leukämie oder so etwas.
    Ob er etwas davon wusste? Von Helen und … wie hieß er? Klaus? Und von der Schwangerschaft? Ada fühlte plötzlich Anteilnahme für Helen. Wenn das der Tom war, von dem Helen gesprochen hatte, dann konnte sie verstehen, weshalb sie sich in die Arme von Klaus geflüchtet hatte. Wer konnte |189| schon auf Dauer mehr Leid ertragen als sein eigenes? Klaus war Arzt und strahlte Souveränität aus. Ein Mann durfte nicht wanken; er musste stark sein und sicher.
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Nein, ich meine, ja. Es ist … nichts. Es tut mir leid.«
    Sie musste wirklich völlig verwirrt aussehen. Zum Glück kam Wladimir gleich und kümmerte sich um ihren Arm.
    Später klingelte er, um ihr das Handtuch zu bringen, das sie in ihrer Aufregung hatte liegenlassen. Gerade als ihr die Worte ausgingen, ertönte ein Pfeifen.
    »Das Kaffeewasser«, rief sie und lief in die Küche. »Komm doch rein!«
    Noch nie hatte sie einen Mann in ihre Wohnung gebeten. Heute war der Tag der Premieren. Er stand im Türrahmen und hielt das Tuch in der Hand. Er lächelte. Es sah wunderschön aus.
    »Leg es einfach irgendwo hin. Möchtest du Kaffee?«
    »Immer.«
    »Ich mach’ ihn aber anders als du. Deutsch, mit Filter und Aufgießen und so.«
    »Kein Problem.«
    »Oder soll ich lieber …«
    »… Nein, ist prima so, wirklich.«
    Während sie den Kaffee aufgoss, schlenderte Wladimir durch den Flur. Sie konnte seine Schritte durch das Knarren der Dielen verfolgen.
    »Ganz schön einsam, findest du nicht?«
    »Was?«
    »Deine Bilder – ganz schön einsam.«
    »Magst du sie nicht?«
    »Doch, doch, sicher.«
    Sie kam in den Flur und fingerte an einem ihrer Blusenknöpfe.
    |190| »Ich würde dir gerne etwas zeigen.«
    »Okay.«
    Wie ein Reflex legte sich ihre Hand auf seinen Arm. Sie spürte ihre Brustwarzen steif werden und wagte nicht, an sich herunterzusehen. Eilig führte sie ihn ins Schlafzimmer.
    Wladimir: »Du wolltest mir dein Schlafzimmer zeigen?«
    Sie deutete an die Decke. Er folgte ihrer Bewegung mit dem Kopf.
    »Was ist das?«
    »Das sind Sterne. Meine Decke ist voll davon, ein ganzer Sternenhimmel! Vierundfünfzig und zwei Monde und ein Raumschiff. Da, schau!«
    Wladimir war sich nicht sicher, was das sollte. Die lief eindeutig neben der Spur. Hatte sie die Sterne als Vorwand benutzt, um ihn ins Schlafzimmer zu lotsen, und erwartete jetzt Action von ihm, oder wollte sie ihm wirklich nur ihre komischen Leuchtdinger zeigen? Und wie erwartungsvoll sie ihn anstrahlte – total verdreht.
    »Äh … schön.«
    »Ich wusste, dass sie dir gefallen würden, weil du doch Raumfahrt studierst.«
    »Ach so.«
    »Ich glaub’, der Kaffee ist fertig.«
    Ein Glück.
    »Schön.«
    Zurück in seiner Wohnung, fühlte Wladimir sich deutlich erleichtert.

[ Menü ]
    |191| Desdemona
    Tom war zu Schweiß und Staub zurückgekehrt. Zwei Reihen noch, dann würde er Tibatongs Schlafgemach endlich fertig geschliffen haben. Konnte doch nicht so schwer sein. Kaum aber hatte er die Maschine wieder auf Touren gebracht, da hämmerte es erneut an der Tür. Jetzt konnte die fette Wachtel was erleben. Er stellte die Maschine ab und wartete.
So
würde er nie fertig werden. Wieder klopfte es. Im Geiste ging Tom die Checkliste durch: Ohrschützer über Mütze über Staubmaske, Brille, Arbeitshandschuhe, Knieschützer. In der einen Hand den Beitel, in der anderen ein Stemmeisen – Roger. Er sah aus, als wollte er eine Bank in die Luft sprengen. Sie klopfte wieder. Jetzt bist du fällig, Schnecke.
    Tom riss die Tür auf, und da stand plötzlich diese Frau vor ihm, und sie war das Gegenteil von dem, was er erwartet hatte, und sie sah ganz verstört aus, und irgendwo war er ihr schon mal begegnet, aber er konnte sich nicht erinnern.
    »Hallo, Sie müssen Tom sein«, sagte sie und streckte ihm vorsichtig ihre Hand hin.
    Er legte das Werkzeug auf den Boden, streifte seine Arbeitshandschuhe ab und ergriff ihre Hand.
    »Herr Preuß ist … ich bin die Tochter von … also, ich bin …«
    Tom zog mit der freien Hand den Klimbim von seinem Kopf und legte sein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher