Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
Vom Netzwerk:
Schlagzeilen der Nachrichten von
heute…«
    »Maul halten!« Ihre Stimme war ein
wüstensandiges Krächzen.
    »Gewiss.«
    Der synthetische Junge an der Wand fuhr fort, leise zu
singen.
    Bisesa sah sich um. Dies war ihr Schlafzimmer, ihre Londoner
Wohnung. Alles darin erschien ihr klein, überladen. Das Bett
war groß und weich und unbenutzt.
    Sie ging zum Fenster. Schwer versanken die Militärstiefel
im Teppich, wo sie Spuren aus rostrotem Staub hinterließen.
Der Himmel draußen war bleifarben, aber die Sonne ging
gerade auf, und die Silhouette der Stadt trat aus dem flachen
Grau in die Dreidimensionalität.
    »Wand.«
    »Ja, Bisesa?«
    »Welches Datum haben wir?«
    »Dienstag.«
    »Das Datum!«
    »Ah. Den neunten Juni 2037.«
    Der Tag nach dem Hubschrauberabsturz. »Ich sollte doch
in Afghanistan sein…«
    Die Wand hüstelte leise. »Nun ja, ich bin schon
gewöhnt an deine impulsiven Planänderungen, Bisesa. Ich
erinnere mich, wie du damals…«
    »Mama?«
    Ein leises, schläfriges Stimmchen. Bisesa drehte sich
um.
    Sie war barfuß, streckte den Bauch heraus und rieb sich
ein Auge mit der Faust; ihr Haar war völlig verheddert
– eine verschlafene Achtjährige. Sie trug ihren
Lieblingspyjama, auf dessen Vorderseite Zeichentrickfiguren
tanzten und der ihr schon um mindestens zwei Größen zu
klein war. »Du hast gar nicht gesagt, dass du nach Hause
kommst.«
    Irgendetwas in Bisesas Innerem brach auf, und sie streckte die
Arme aus. »Ach, Myra…«
    Myra zuckte zurück. »Du riechst aber
komisch…«
    Erschrocken blickte Bisesa an sich selbst hinab. In ihren
orangefarbenen Fliegersachen, abgenutzt und zerrissen und mit
schweißnassem Sand bedeckt, wirkte sie in dieser Wohnung
des einundzwanzigsten Jahrhunderts so deplatziert, als hätte
sie sie in einem Raumanzug betreten.
    Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich glaube, ich
brauche eine Dusche. Dann essen wir Frühstück, und dann
erzähle ich dir alles genau…«
    Das Licht veränderte sich um eine Nuance. Bisesa drehte
sich zum Fenster. Ein Auge schwebte über der Stadt wie ein
Sperrballon. Sie konnte nicht abschätzen, wie weit entfernt
es war oder wie groß. Aber sie wusste, dass es ein
Instrument der Erstgeborenen war, die sie nach Mir
transportiert hatten, einer anderen Welt, und sie dann wieder
nach Hause gebracht hatten.
    Und über den Dächern von London ging eine
unheilvolle Sonne auf.

 
{ 2 }
DER GIPFEL DES EWIGEN LICHTS
     
     
    Michail Martynov hatte sein Leben dem Studium des Erdsterns
gewidmet. Und vom ersten Moment an, als er die Sonne sah, zu
Beginn jenes schicksalhaften Tages, wusste er im tiefsten Innern,
dass irgendetwas nicht stimmte.
    »Guten Morgen, Michail. Die Zeit auf dem Mond ist zwei
Uhr morgens. Guten Morgen, Michail. Die Zeit ist zwei Uhr und
fünfzehn Sekunden. Guten Morgen…«
    »Danke, Thales.« Aber er war schon aufgestanden
und ging seinen üblichen Verrichtungen nach. Wie immer war
er mit einer Abweichung von weniger als einer Minute von seinem
persönlichen Zeitplan aufgewacht, ohne dass es Thales’
leise gesprochenen elektronischen Weckrufs bedurft hätte
– ein Zeitplan, den er unabhängig von der Houstonzeit
einhielt, der der Rest des Mondes unterlag.
    Michail war ein Routinemensch. Und er begann den Tag, wie er
jeden Tag seiner langen, einsamen Schichten auf dieser
Weltraumwetter-Servicestation begann: mit einem Spaziergang im
Sonnenlicht.
     
    Er nahm ein schnelles Frühstück aus Fruchtkonzentrat
und Wasser zu sich. Er trank das Wasser grundsätzlich pur,
ohne es mit Kaffeeextrakt oder Teeblättern zu versetzen
– denn es war Wasser vom Mond, das Ergebnis einer
Jahrmilliarden währenden Kometenakkretion, das nun von
Millionen Dollar teuren Robots zu seiner Labung gewonnen und
verarbeitet wurde. Er glaubte, dass das Wasser es verdient hatte,
mit Ehrfurcht genossen zu werden.
    Dann stieg er voller Elan in den EVA-Anzug. Der bequeme und
leicht zu handhabende Anzug war das Ergebnis einer
sechzigjährigen Weiterentwicklung der plumpen Rüstung,
die die Apollo-Astronauten getragen hatten. Und er war
auch noch intelligent; dem Anzug wurde nachgesagt, er sei so
intelligent, dass er ohne Inhalt einen Mondspaziergang
unternehmen könne.
    Intelligent oder nicht, Michail arbeitete sorgfältig eine
Reihe manueller Checks der Lebenserhaltungssysteme des Anzugs ab.
Er lebte allein hier am Südpol des Mondes, abgesehen von der
elektronischen Allgegenwart von Thales,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher