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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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Lektüre.
    Sie hörte die Stimme ihrer Mutter. »Und so weiter
und so fort«, sagte Maria, deren leiser irischer Singsang
durch den kleinen Lautsprecher im Telefon übersteuert und
verzerrt wurde. »Nach dem ganzen technischen Kram über
das alte Raumschiff, an das sich eh kein Mensch mehr erinnert,
kriegst du hoffentlich wieder die Kurve zum eigentlichen
Thema.«
    Siobhan unterdrückte einen Seufzer. »Mutter, ich
bin die Königliche Astronomin, und dies ist die Royal
Society. Ich halte die Eröffnungsrede! ›Technischer
Kram‹ wird da von einem erwartet.«
    »Und du warst noch nie sehr gut mit Analogien,
Liebes.«
    »Du könntest mich wenigstens ein bisschen unterstützen.« Sie nahm einen Schluck Kaffee, wobei
sie darauf achtete, keinen Tropfen auf ihrem besten Anzug zu
verschütten. »Ich meine, schau doch nur, wo dein
kleines Mädchen heute ist.« Mit einem Fingerschnippen
aktivierte sie die Bildfunktion des Telefons, damit ihre Mutter
sie sehen konnte.
    Sie befand sich hier in den City of London-Räumen in den Büros der Royal Society in Carlton Terrace. Sie wurde
von gediegenen Antiquitäten umgeben, hatte Kronleuchter
überm Kopf hängen und wurde von einem Marmorkamin
flankiert.
    »Was für ein schöner Raum«, murmelte
Maria. »Wir haben den Viktorianern wirklich viel zu
verdanken.«
    »Die Royal Society ist viel älter als die
Viktorianer…«
    »Hier gibt es aber keine Kronleuchter, das kann
ich dir versichern«, sagte Maria. »Nichts als
müffelnde alte Leute, mich eingeschlossen.«
    »Das ist ein Lehrstück in Demografie.«
    Maria war im Guys Hospital, in der Nähe der London Bridge
und nur ein paar hundert Meter von Carlton Terrace entfernt. Sie
wartete auf einen Behandlungstermin für ihren Hautkrebs.
Für Leute, die unter einem löchrigen Himmel alt
geworden waren, war das ein weit verbreitetes Leiden, und Maria
musste sich anstellen.
    Siobhan hörte erhobene Stimmen im Hintergrund.
»Gibt es ein Problem?«
    »Ein Stau am Getränkeautomaten«, sagte Maria.
»Bei einer Person ist das Kredit-Chip-Implantat
zurückgewiesen worden. Die Leute sind überhaupt
ziemlich reizbar. Es ist schon ein komischer Tag heute, nicht
wahr? Hat vielleicht etwas mit dem seltsamen Himmel zu
tun.«
    Siobhan schaute sich um. »Hier ist es auch nicht viel
ruhiger.« Da die Konferenz gleich anfangen würde, war
sie dankbar, dass sie mit ihrem Kaffee in Ruhe gelassen wurde und
die Gelegenheit hatte, noch einmal die Aufzeichnungen
durchzugehen – auch wenn sie sich verpflichtet gefühlt
hatte, ihre Mutter im Krankenhaus anzurufen. Doch nun schienen
sich alle am Fenster zu versammeln und in den seltsamen Himmel zu
schauen. Sie fand den Anblick amüsant, dass eine Schar
international renommierter Wissenschaftler wie kleine Kinder sich
zusammendrängte, um einen Blick auf einen Popstar zu
erhaschen. Aber was gab’s dort überhaupt zu sehen?
    »Was ist denn mit dem Himmel los, Mutter?«
    »Vielleicht solltest du selbst mal einen Blick darauf
werfen«, erwiderte Maria in einem schneidenden Tonfall.
»Du bist schließlich die Königliche Astronomin
und…« Die Telefonverbindung brach mit einem Zischen
ab.
    Siobhan war im ersten Moment perplex; das war noch nie passiert. »Aristoteles, Wahlwiederholung bitte.«
    »Ja, Siobhan.«
    Die Stimme ihrer Mutter war nach ein paar Sekunden wieder zu
hören. »Hallo…?«
    »Ich bin’s«, sagte Siobhan. »Mutter,
Astronomen betätigen sich heutzutage von Berufs wegen kaum
noch als Sternengucker.« Und schon gar nicht eine
Kosmologin wie Siobhan, die sich nur in den größten
Maßstäben von Raum und Zeit mit dem Universum
befasste, und bestimmt nicht mit einer Hand voll popeliger
Objekte, die man mit bloßem Auge sehen kann.
    »Aber dir muss doch heute Morgen die Aurora aufgefallen
sein.«
    Natürlich war sie ihr aufgefallen. Im Sommer stand
Siobhan nämlich immer gegen sechs auf und absolvierte ihren
täglichen Lauf im Hyde Park, bevor die Hitze des Tages
unerträglich wurde. Obwohl an diesem Morgen die Sonne schon
lang überm Horizont gestanden hatte, hatte sie diese
verschwommene rotgrüne Schliere am nördlichen Himmel
gesehen – dreidimensionale, helle Vorhänge und
Bänder, eine riesige Struktur aus Magnetismus und Plasma,
die über der Erde dräute.
    »Eine Aurora hat etwas mit der Sonne zu tun, nicht
wahr?«, sagte Maria.
    »Ja. Protuberanzen, der Sonnenwind.« Zu ihrer
Schande wurde Siobhan sich bewusst, dass sie
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