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Sonnensturm

Sonnensturm

Titel: Sonnensturm
Autoren: Arthur C. Clarke , Stephen Baxter
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und jeder wusste, dass
man in der niedrigen Schwerkraft abstumpfte – die
›Weltraumidioten‹, wie sie im Volksmund
hießen. Michail war sich der Bedeutung durchaus bewusst,
sich auf die fürs Überleben notwendigen Routinen zu
konzentrieren.
    Dennoch dauerte es nur ein paar Minuten, bis er sicher im
warmen Anzug eingeschlossen war. Durchs keilförmige Visier,
das die Sicht leicht verzerrte, schaute er in seine kleine
Unterkunft. Als ein Mensch, der für den interplanetaren Raum
ausgerüstet war, wirkte er in einem Chaos aus schmutziger
Wäsche und schmutzigem Geschirr irgendwie fehl am Platz.
    Dann schob er sich mit einer Eleganz, die er in langer
praktischer Übung erworben hatte, durch die Luftschleuse,
ging durch die kleine, dahinter liegende Staubschleuse und betrat
schließlich die Mondoberfläche.
    Michail stand auf dem Abhang eines Kraterrandbergs im
Schatten, der nur von spärlicher künstlicher
Beleuchtung erhellt wurde. Über ihm drängten sich
Sterne an einem stummen Himmel. Als er aufschaute – wobei
er sich im steifen Anzug zurücklehnen musste –, machte
er ein paar helle Lichtkleckse am Rand der Kraterwand aus:
Stellen, die vom tiefen polaren Sonnenlicht erreicht wurden. Eine
Solarzellenanlage und ein Antennenfeld waren dort oben im Licht
platziert worden, wie auch die Sonnensensoren, die der
eigentliche Zweck der Station waren.
    Bei dieser Weltraumwetter-Servicestation, die in die Wand
eines Kraters namens Shackleton gegraben worden war, handelte es
sich um eins der kleineren Habitate des Mondes – nur ein
paar aufblasbare Kuppeln, die durch niedrige Tunnels miteinander
verbunden und mit einer Schicht anthrazitfarbenen Mondstaubs
bedeckt worden waren.
    So unscheinbar das Habitat selbst auch wirkte, befand es sich
doch an einem der ›spektakuläreren‹ Standorte
des Mondes. Anders als die Erdachse hatte die Mondachse keine
signifikante Neigung; es gab also auf dem Mond keine
Jahreszeiten. Und am Mond-Südpol steigt die Sonne nie sehr
hoch am Himmel empor. Die Schatten sind dort immer lang –
und an manchen Stellen weichen sie niemals. Deshalb war die
Dunkelheit, in der Michail stand, seit Milliarden von Jahren
nicht erhellt worden – außer von Menschen.
    Michail ließ den Blick über den Abhang und
über die niedrigen Aufwölbungen der Stationskuppeln
schweifen. Auf Shackletons Boden enthüllten Flutlichter ein
komplexes Gewirr aus Steinbrüchen und herumkriechenden
Maschinen. Dort unten schürften Robots nach dem wahren
Schatz dieses Orts: Wasser.
    Nachdem die Apollo-Astronauten die ersten staubigen
Mondsteine mit nach Hause gebracht hatten, stellten die Geologen
zu ihrer Verblüffung fest, dass die Proben nicht die
geringste Spur von Wasser enthielten – nicht einmal
chemisch in den Mineralstrukturen gebunden. Es dauerte ein paar
Jahrzehnte, um das Geheimnis zu lüften. Der Mond war
nämlich keine Schwesterwelt der Erde, sondern ihre Tochter
– entstanden in den frühen Tagen des Sonnensystems,
als eine Kollision mit einer anderen jungen Welt eine Proto-Erde
zerstört hatte. Der Schutt hatte sich schließlich zum
Mond verdichtet und war dabei erhitzt worden, bis er
blauweiß glühte. Bei diesem Vorgang war das Wasser
komplett verdampft. Später waren dann Kometen auf die
Oberfläche des Mondes geprasselt. Von den Milliarden Tonnen
Wasser, die durch diese Einschläge abgeladen wurden, waren
die meisten sofort wieder verdampft. Doch ein Rinnsal –
wirklich nur ein Rinnsal – hatte den Weg zu den in ewigem
Schatten liegenden Böden der Polarkrater gefunden. Eine
Morgengabe in Form von Wasser an den Mond, als ob er für die
Umstände seiner Geburt entschädigt werden sollte.
    Nach irdischen Maßstäben gab es trotzdem kaum
Wasser auf dem Mond – nicht viel mehr als ein
mittelprächtiger See –, doch für menschliche
Kolonisten war es ein unermesslicher Schatz, buchstäblich
viel mehr wert als sein Gewicht in Gold. Und für die
Wissenschaftler war es ebenfalls von unschätzbarem Wert,
denn es war gewissermaßen eine Chronik der
Kometenentstehung und enthielt indirekte Hinweise zur Entstehung
der Erdmeere, die auch eine Hinterlassenschaft von
Kometeneinschlägen waren.
    Michails Interesse an diesem Ort galt jedoch nicht dem
Mondeis, sondern dem Sonnenfeuer.
     
    Er trat aus dem Schatten hinaus und erklomm die zunehmende
Steigung des Randbergs, dem Licht entgegen. Der Pfad war nur eine
Spur, die durch menschliche
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