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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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bewundernswert, aber gewiss nicht praktisch.
    ***
    Nun brachen ihre Augen. Die den Gletscher gesehen hatten und anderes, was sie kannten. Sie war dankbar, solange sie sehen konnte, jetzt in dieser Landschaft sein zu dürfen, die ihrem Herzen nahestand. Jene Berge von den vielen Autoausflügen, besonders mit der kleinen Unnur zu Skipasund-Zeiten, waren das Letzte, was sie sah, jenseits der Hände am Steuer. Blutige Finger an der gebrochenen Hand, die tausend Hände von Sterbenden in zwei Ländern gestreichelt hatte.
    ***
    Der Tod ist nicht so poetisch, wie gemeinhin behauptet wird.

    Manchmal wird von Tunnel und Licht an dessen Ende geredet, und da beruft man sich auf etwas, was fast gestorbene Menschen berichtet haben.

    Ich war mir sicher gewesen, dass es pure Erfindung war, ein Trost für die Pechvögel, denen es noch bevorstand, in diesem «Tunnel» zu landen.

    Der Tunnel ist natürlich ein Untunnel, wie ich befürchtet hatte. Da ist nicht dieses Licht.

    Und Unland schließt sich an, aus dem niemand zurückkehrt, wie der Dichter sagte, nicht genau mit diesen Worten

    … und dort ist es unerträglich, wie im Unland nicht anders zu erwarten.
    ***
    Das Letzte, was sie wahrnahm, war der Duft des Parfüms, das Unnur ihr zu Weihnachten geschenkt hatte. Das Fläschchen war beim Aufprall zerbrochen, und der Geruch breitete sich aus, um sie in den Untunnel zu verfolgen. Da war kein Licht, wie sie befürchtet hatte, es war vollkommen finster; kein lauwarmes Dämmerlicht, wie sie gehofft hatte, sondern eiskalte Pechfinsternis.
    Sie sagte den Namen ihrer Tochter, aber sie hörte nicht mehr, wie sie ihn sagte:
Unnur
.
    Sie war unschlüssig gewesen, auf was sie den letzten Gedankenfetzen in ihrem Leben und überhaupt richten sollte.Sie brauchte so lange für diese Entscheidung, dass der letzte Gedanke beinahe darin verebbte.
    In ihr brodelte Freude darüber, ihren letzten Gedanken zu erwischen, nachdem sie sich dafür entschieden hatte, Unnur dem grauhaarigen Mann vorzuziehen, der zurückgekehrt war und ganz in der Nähe wartete, mit Liebkosungen und Kaffee im Sommerhaus, das sogar Glückshang hieß, aber gleichzeitig schämte sie sich ein wenig dafür, ihm nicht vollkommen treu zu sein – nach all der Treue –, und das in dieser Stunde.
    Ihre Augen waren offen, und sie wusste, dass sie offen waren, aber sie konnte nicht mehr sehen. Es war ein Sieg, über die Blindheit des Todes hinaus denken zu können. Ein Etappensieg über den Tod. Und das war wesentlich mehr, als man sich im Hinblick auf das Leben einbilden konnte, dass da Etappensiege zu gewinnen seien, gar nicht zu reden vom endgültigen Sieg. Das Leben bestand aus Niederlagen und dazwischen Vergessen. Und jetzt würde auch sie vergessen werden.
    In dem Moment, als der letzte Gedanke aufblitzte, vertraute sie darauf, dass sie Unnur einen Glücksstrahl sandte und einen schützenden Fittich über den Schlaf im neuen Bett im dritten Stock an der Marbakkabraut, und sie bat um einen langen Lebensweg für sie. Einen viel längeren als den von Mama. Dabei huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, so winzig, dass nur der es verstanden hätte, der das Gesicht auswendig kannte.
    Es war gar nicht mehr weit gewesen zu dem Sommerhaus mit dem blauen Dach, kurz hinter dem Wasserfall mit dem Felsenloch. Vielleicht hatte sie nicht auf die unbefestigten Straßenränder geachtet, wie sie es laut der Wegbeschreibung hätte tun sollen, die sie sich aus dem Gedächtnis notiert hatte; sie lag neben ihr auf dem Beifahrersitz.
    Der grauhaarige Mann, der für immer nach Island zurückgekehrt war, machte sich auf den Weg hinunter zur Straße, als er das Echo eines Aufpralls vernahm. Er hatte in seinem Sommerhaus Kaffee gekocht und freute sich darüber, dass die Wettervorhersage stimmte, kein Wölkchen am Himmel.
    Auf ihrer Seite stand die Autotür offen. Er beugte sich unverzüglich zu dem Lächeln, das überlebt hatte, und küsste es.

Eine zwanzigjährige Nichte, die bei ihm in der Schulstraße manchmal nach dem Rechten sah, nachdem er einen Herzanfall erlitten hatte, dieser schlanke und gar nicht alte Mann, nahm zwei Blätter von seinem Schreibtisch zur Hand, als er gestorben war, und wunderte sich sehr. Sie sah, dass es eine Art Wegbeschreibung zu seinem Sommerhaus war, in einer unbekannten, feinen Schrift, die eine Frauenschrift sein musste. Die Nichte war intelligent und sentimental nach Art junger Leute, und sie sah gleich, dass diese Blätter ihrem Onkel viel bedeutet haben mussten. Sie
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