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Sonnenscheinpferd

Sonnenscheinpferd

Titel: Sonnenscheinpferd
Autoren: Steinunn Sigurðardóttir
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angefangen, Lügen aufzutischen.
    Ich bemerkte plötzlich, dass ich mich genau auf das Terrain begab, das ich eigentlich vermeiden wollte: Wie viel und intensiv ich an sie gedacht hatte, als ich klein war, dass sie eine Freundin und Seelengefährtin für mich gewesen war, dass ich zum Telefonhörer gegriffen hatte, obwohl ich kaum eine andere Resonanz bekam als das Tuten im Telefon und das, was ich mir einbildete.
    Ich lachte, und die Frau lachte auch, aber es klang leicht zweifelnd, so als spräche sie mit einer Verrückten. Wer weiß, vielleicht war das ja der Fall.
    Ich habe mir immer vorgestellt, dass deine Mutter aufs Land gegangen war, und du warst wieder bei ihr, und euer Haus stand am Meeresufer, es war grün, und es ging euch gut, weil deine Mutter im Akkord so viel Hering einsalzte.
    Das klingt schön, sagte die Frau. Wäre es doch bloß so gewesen.
    Das Gesicht zeigte keine Regung, die Stimme auch nicht. Diese erwachsene Dór verstummte und wartete darauf, dass ich weitersprach. Sie wusste, dass da noch etwas war, undjetzt musste ich mit der Sprache herausrücken, denn die Zeit war so gut wie abgelaufen, die Abendwache begann gleich, und bevor ich das Puppenhaus in der Lava von Hafnarfjörður verließ, musste ich mich unbedingt nach der hellblauen Schachtel mit dem eingestickten Namen erkundigen, allerdings ohne das Fest bei Nellí zu erwähnen. Wenn ich jetzt nicht redete, würde ich es nie tun. Und dann wäre diese langersehnte Begegnung bedeutungslos, dieses eine Hauptfragment in einem ganzen Leben, das sich jetzt blitzschnell ordnete, jenseits der Ecke zur neuen Zeit, wo der grauhaarige Liebste wartete.
    Das Wichtigste war, nichts über den genauen Zeitpunkt der Geburtstagsfeier bei Nellí zu sagen, als niemand Geburtstag hatte. Dass sie am Tag davor stattgefunden hatte. Am letzten Tag, den sie ganz lebte, weitere Tage gab es nicht, denn laut Polizeiprotokoll starb sie in den frühen Morgenstunden, und ich fand sie gegen Mittag, mit einem Geschenk in der Tasche, einer veilchenblauen Vase, die ich im Bücherzimmer in der Sjafnargata gemopst hatte, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass es Diebstahl war.
    Ich durfte nicht verraten, dass ich das hellblaue Stück Stoff gesehen hatte, als der letzte Buchstabe im Namen noch fehlte, dass die Nadel mit dem nachtblauen Faden im R steckte, denn dann würde die Frau argwöhnen, dass und wie sehr sich das Leben ihrer Mutter dem Ende zugeneigt hatte. Ich durfte auch das Wiesenschaumkraut nicht erwähnen, denn das blüht frühestens im Mai. Am sichersten war der Löwenzahn. An manchen Häuserwänden in der Stadt blüht er bereits im April. Falls sie mich direkt danach fragte, wann ich ihre Mutter zuletzt gesehen hätte, würde ich mich an den April halten.
    Ich schilderte in allen Einzelheiten, wie ordentlich und hübsch es in der Grettisgata ausgesehen hätte. Die dunkelbraune Decke auf dem Bett. Die neuen blaukarierten Gardinenund das Tischtuch – so gut gestärkt und gebügelt, dass ich Nellí am liebsten danach gefragt hätte, wie sie das machte. Das hätte ich aber nicht getan, um sie nicht auf den Gedanken zu bringen, ich müsste bei mir zu Hause die Wäsche waschen – womit ich anscheinend in der Oststadtschule eine Ausnahme war.
    Die Frau fand das Wäschewaschen eines kleinen Mädchens offensichtlich gar nicht in Ordnung. Ich schwieg derweilen und genoss es.
    Dann erzählte ich ihr von einem frischgepflückten Blumenstrauß in einer veilchenblauen Vase auf der neuen Decke. Die Lüge mit der Blumenvase brachte ich blitzschnell ein, denn ich fand die Realität mit dem Marmeladenglas auf einmal so unbefriedigend.
    Hat Mama eine Blumenvase besessen?
    Ja, das war eine schöne veilchenblaue Vase, nicht groß.
    Die muss ihr jemand geschenkt haben, nachdem ich geholt wurde. Mama hat nie eine Vase besessen.
    Damals hat sie aber eine gehabt. Und ich bekam Pfannkuchen und heiße Schokolade, und deine Mutter war gut zurechtgemacht. Sie hatte ihr Sonntagskleid an und war schön frisiert.
    Hatte sie ihr Sonntagskleid an?
    Ja, sie hatte ihr gutes Kleid an. Vielleicht war es ja auch Sonntag. Das Wetter war wunderschön, auf den Wäscheleinen vor der Tür saßen viele Drosseln, die laut sangen, und das habe ich dir alles schon seit langem sagen wollen, denn es hat mir enorm viel bedeutet, wie lieb deine Mama zu mir war, wie sie mir die Wange streichelte, so etwas kam in meinem Zuhause in der Sjafnargata nicht in Frage, und ich hoffe wirklich, dass es nicht falsch
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