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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus
Autoren: Michael Siefener
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aufmerksam; es war ganz deutlich zu
sehen, dass wir einen bestenfalls zwiespältigen Eindruck auf ihn
machten. Wie sehr wünschte ich mir nun, frisch rasiert und
gefönt zu sein und einen dezenten Anzug zu tragen. Lisa musste
es ähnlich ergehen. Ich ergriff ganz kurz ihre Hand, wie um
Kraft bei ihr zu tanken, dann sagte ich: »Man war so freundlich,
uns den Weg zu Ihnen zu erklären.« Und wieder sagte ich
mein Sprüchlein von der wissenschaftlichen Arbeit über
einen fast völlig unbekannten römischen Gott auf. Dabei
beobachtete ich nervös mein Gegenüber, der der kleinen
Tafel draußen neben der Tür zufolge auf den Namen Dr.
Dieter Kuffel hörte. Zu meinem größten Erstaunen
schien er meine Geschichte zu schlucken.
    »Was Sie da über diesen Gott Somniferus sagen, finde ich
sehr interessant«, meinte er. »Darf ich fragen, an welchem
Lehrstuhl Sie arbeiten? Ich vermute, dass Sie nicht von der Trierer
Universität kommen.«
    Zu früh gefreut! Was sollte ich jetzt sagen? Selbst wenn ich
irgendeine kleine Universität nannte, bestand trotzdem die
Gefahr, dass Dr. Kuffel sie kannte; dann hätten wir sehr
schlechte Karten, denn wer lässt schon einen ertappten
Lügner seine ungehobenen Schätze durchstöbern? Also
entschloss ich mich zur halben Wahrheit: »Es ist eine
Privatarbeit, aber wir hoffen, sie unter die Fittiche eines
Lehrstuhls für Alte Geschichte zu bekommen. Es laufen bereits
Verhandlungen. Aber zuerst müssen wir das Heiligtum dieses
Gottes zweifelsfrei nachweisen, denn es wäre ja möglich,
dass die Interpolation in der Ausonius-Handschrift eine
Hinzufügung aus dem Mittelalter ist, die sich ein fantasievoller
Scriptor erlaubt hat.«
    »Denkbar«, meinte Dr. Kuffel und kraulte seinen enormen
Bart. »Wissen Sie, wir lassen eigentlich keine Fremden in unser
Depot, denn es gibt dort viele Gefahrenquellen. Aber was Sie da
sagen, fasziniert mich. Ich selbst habe leider an keiner Ausgrabung
in Neumagen teilgenommen – dafür bin ich zu jung –,
aber die Gegend war ein Eldorado für Archäologen. Ich
könnte mir durchaus vorstellen, dass in unseren Kellern noch
einige Hinweise auf Ihren Gott schlummern. Ich mache Ihnen einen
Vorschlag: Ich lasse Sie hinunter und schließe Sie ein. Ich
bitte Sie, diese Vorsichtsmaßnahme zu verstehen, denn Sie
glauben nicht, wie viel hier bereits gestohlen wurde.« Als er
sah, wie ich versuchsweise die Stirn kraus zog, beeilte er sich zu
hinzuzufügen: »Das heißt natürlich nicht, dass
ich Ihnen misstraue, aber wenn Sie beide dort unten sind und die
Tür offen ist, kann es leicht passieren, dass jemand
hereinkommt, den Sie überhaupt nicht bemerken. Ich lasse Sie
vier Stunden allein; dann schließen wir sowieso und entweder
ich selbst oder einer der anderen Angestellten wird Sie dann aus
Ihrem Gefängnis befreien. Wären Sie damit
einverstanden?«
    Ich schaute Lisa an. Sie nickte heftig. Es war weitaus mehr, als
wir beide erwartet hatten. Dr. Kuffel holte einen Schlüsselbund
aus seinem Schreibtisch und stand auf. Er öffnete eine Tür
und sagte rasch: »Frau Müller, ich bin mal kurz für
zehn Minuten weg«, dann führte er uns nach draußen in
den Gang.
    Auf dem Weg in die Katakomben, die sich unter dem alten
Gebäudeteil befanden, wurde ich nicht müde, die
Großartigkeit dieses Museums zu loben. Ich meinte es durchaus
ernst. Bisher hatte ich mir nicht viel aus römischen
Altertümern gemacht – die Römer waren mir immer als
recht uninspirierte, knochentrockene Gesellen vorgekommen –,
aber hier in diesem Gemäuer begann sich meine Einstellung zu
ändern.
    Wir stiegen hinab in die frisch getünchten, neonerhellten
Kellergewölbe und blieben schließlich vor einer der
zahlreichen breiten, zweiflügeligen Stahltüren stehen. Dr.
Kuffel schloss sie auf; das Klappern seines Schlüsselbundes
hallte erstaunlich lange und kräftig von den Wänden und der
Decke wider. Und mit diesem Hall kehrte auch meine Angst zurück.
Denn in die Geräusche mischte sich neben dem Klappern ein
anderes, mir entsetzlich wohlbekanntes: das Geräusch gewaltiger
Tritte. Doch jetzt klangen sie so nah, dass ich mich
unwillkürlich umschaute. Natürlich war da nichts. Oder
kamen die Schritte aus dem Raum hinter der Stahltür?
    Dr. Kuffel stieß die Tür weit auf und sagte
entschuldigend: »Es riecht nicht besonders hier; wir haben zwar
eine Belüftungsanlage, aber sie schafft es meist nicht
ganz.«
    Ich kannte diesen Geruch. Kannte ihn nur zu gut.
    Dr. Kuffel ging in das Dunkel hinein, das hinter
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