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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Autoren: Walter Kempowski
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standen Rotarmisten. Ich winkte ihnen zu. Sie dachten, ich wollte Geschäfte mit ihnen machen, kamen angelaufen, näherten sich … Weit gefehlt – ich hatte die Völkerfreundschaft gemeint und setzte mich schnellstens ab.
    Die Anonymität eines Hotelzimmers.
    «Diejenigen Moslems protestieren am meisten, die am weitesten weg sind»(3Sat).
    4000 Kurden mit Gas getötet, schon vergessen?
    Harry Tisch, wie ein abgeschminkter Clown.
    TV: Interview mit einem VP-Oberst, der am Brandenburger Tor Dienst tat. Demokratie habe ihn befreit.
    Es ist eine Unsitte, Standfotos mit Geräuschen zu unterlegen. Wirkung ist auf Täuschung angelegt.
    Sendungen ohne Musikunterlage gibt’s fast gar nicht mehr.«Tekno»nennen sie das. Man soll nicht auf dumme Gedanken kommen.
     
    In Wismar kurzes Statement über den Wiederaufbau der Georgenkirche. Wenn man die Trümmerei sieht, möchte man zweifeln daran, ob es je gelingt, sie wiederaufzurichten, diesen Zyklopen. Ein Giebel ist heruntergefallen und hat im Nebenhaus ein Kind getötet. – Plattdeutsche Bürger: Watt sall de olle Kasten? Mit dieser Einstellung haben die Kommunisten auch die Marienkirche in Wismar gesprengt! Dieses Kleinod.
     
    2007: Jetzt ist dort ein Parkplatz.
     
    Dieses Denken hätte auch beinahe dazu geführt, daß man das Holstentor in Lübeck in die Luft gejagt hätte.
     
    Ein DDR-Bürger erzählt mir von seinen Wendeerfahrungen:
    Am 9. November kam ich aus Afrika, Fischfang. Fischkombinat. Wir mußten sowieso nach Hause, kommen in Berlin-Schönefeld an, Paß und so weiter, da sagten die:«Ihr könnt gleich rübergehn. »- Was, rübergehn? -«Na, nach West-Berlin, die Mauer ist gefallen.»- Ich hab’ mich dann an und für sich geärgert später – anstatt da mitzufeiern, bin ich erst nach Hause gefahren.

Warnemünde Mi 30. Januar 1991
     
    Auf der schönen Vorkriegspromenade ging ich hin und her, kalter Wind.
    Eben hielt mich einer an, ob ich schon mal wieder in Kummerow gewesen sei? Nein, aber an Ehm Welks Schreibtisch habe ich gesessen.
    Zone andersrum.«Trabi-Effekt». An der Ostsee, positivistisch. Alles falsch machen, aber es geht aufwärts.
    Riesengroße nagelneue Tankstelle mitten in der Einöde. Regale voll Chips, aber niemand tankt. Der Besitzer mit seiner Tochter rennt ratlos herum. Dem haben sie das Dings aufgeschnackt.
    Angesichts des Meeres.
     
    Im«Spiegel»ein Artikel über die Botschaftsgebäude in aller Welt, die die BRD von der DDR geerbt hat. Da reibt man sich denn doch die Hände! Herrliche Grundstücke seien das.
    In der DDR-Botschaft in Athen fand man eine vollständige Waffenkammer mit Handfeuerwaffen und Panzerfäusten sowie ein Einbruchsbesteck.
    1918 hatten die Russen sich kistenweise Waffen und Munition ins Botschaftsgebäude schicken lassen, um sie den Kommunisten auszuteilen. Die Bahnbeamten haben dann mal eine Kiste so’n bißchen fallen lassen, und da kullerten auch schon die Handgranaten raus. So was wie«Ehrenwort»oder«Eid»achteten sie nicht, die Russen. In Schwerin haben sie mir auch ihr Ehrenwort gegeben, wenn ich dies oder das zugebe.
     
    In Rostock im Antiquariat kaufte ich einiges. Ich ließ mir eine Quittung ausstellen.«Interessantes Datum», sagte ich. -«Wieso? »fragte die Buchhändlerin. – Sie verbinden mit dem 30. Januar nichts. Die phraseale Überfütterung mit Politik («Tag der Genossenschaftsbauern und der Arbeiter der sozialistischen Land- und Forstwirtschaft») hat auch die erinnerungswürdigen Daten gelöscht.
    Meine Interviews zum 50. Jahrestag 1983, auch mal wieder vorholen. Der Hitleradjutant zeigte mir damals gleich alle seine Orden, und Marianne Hoppe erzählte von Hitlers Schlafzimmer. Auch ein Befragungsbuch wert, der 30. Januar, Material ist genug da. Es lagert bei mir im Archiv.
    Ein Wiedervereinigungsplankton:
    Wir sind jetzt zwiespältig. Daß sich schon jetzt so viele Widerstände aufgebaut haben gegen die Wiedervereinigung, das macht uns traurig und betroffen. Die Geschäftsleute fürchten um ihre Pfründe, und den westdeutschen Kaufleuten hängt die Zunge aus’m Hals.

Nartum Do 31. Januar 1991
     
    Gestern bei der Regierungserklärung klatschte die Opposition nicht ein einziges Mal, auch wenn’s ganz vernünftig war, was Kohl da sagte. Als ob die alle nach links gekämmt sind. – Am schlimmsten muß es für einen Politiker sein, ausgelacht zu werden.
     
    Im Radio kam ein Bericht über die Ausbildung unserer Terroristen (Irak, RAF und IRA) durch Stasi-Leute! Mit chemischen
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