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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Autoren: Walter Kempowski
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der Bundeskanzler nicht schuld sei, daß deutsche Firmen an Saddams Aufrüstung beteiligt … Herrgott, wer alles aufrüstet. Das tun sie doch alle. Eine anachronistische Kanone wird gezeigt mit 100 Meter langem Rohr. Wer die dem Saddam wohl angedreht hat.
    Oldenburg: eine Studentin, schwarzhaarig, mit schwarzem Pullover, darauf in Silber: 100% BLACK.
    Wenig Schönheit, meistens Mulsch-Typen. So sahen früher die«Dienstmädchen»aus.

     
    Skizze von Walter Kempowski
    Kurzsichtige. Wer mit dem Referat dran ist, zieht sich bessere Klamotten an (keinesfalls immer!).
    Ein freundlicher Blick trifft mich selten.
    Ein dunkles Mädchen mit Bubihaarschnitt, riesige Armbanduhr. Zwei oder drei von den achtzig mögen mich, sagt sie. Manche kämen nur, weil ich Witze mache.
     
    TV: Gestern Tschaikowski-Wettbewerb in Moskau: Viel Mühe auf Tinneff gerichtet haben die Studenten. Die besten Noten kriegen die schwierigen Stücke, wo’s ordentlich rauf- und runtergeht, so Gniedelzeug, Paganini. Und die Preisrichter lauschen nicht auf Schönheit, sondern auf Fehler. Führen eine Strichliste. Um Kunst geht es dabei nicht. Die Wertung hat ein bißchen Ähnlichkeit mit der beim Eiskunstlauf. Ein Axel-Rittberger, nicht ganz sauber ausgeführt – da gibt’s trotz sonstiger Akrobatik gleich’ne Sechs. – Wenn man die stumpfen Leute hier in der Hochschule vergleicht mit diesen russischen Kunsteleven, muß ich ehrlich sagen: Ich glaube nicht, daß aus unserer Schar ein großer Pädagoge sich herausschält. Aber man kann ja nie wissen. Ich war in Göttingen ja auch ein indifferenter
    Typ. Legte mich im Merkelpark auf den Rasen und glotzte die Wolken an.
    Von daher auch schade, daß nur noch wenige Männer Pädagogik studieren, bei mir sind es vier! Und Pädagoginnen sind notorisch unfreundlich. Lieben sie überhaupt Kinder? In einer Statistik wird das bezweifelt.
    Sie gehen vor einem die Treppe hoch und knallen einem die Tür vor den Latz. – So etwas sollte in der Schule geübt werden: Benimm. Eine Stunde pro Woche«praktische Lebenskunde»(schlug schon Hafner in Bautzen vor).
    Hafner – ein ewiges Rätsel. Seine Ausstrahlung war enorm.
     
    Märtin
    Gosselck
    Hafner
     
    Sie waren ausgesandt, mich durch Berührung zu fördern. Das waren die großen Pädagogen, die mein Leben gerettet haben.
     
    Eine lustige Studentin: Während ich doziere, redet sie ungeniert mit ihrer Nachbarin, ich guck’ sie an und schüttele ganz wenig den Kopf. Sie verbirgt sich, guckt mit einem Auge durch das Haar des Vordermanns, ich nicke, sie kriegt roten Kopf, lacht. Segelt das auch unter pädagogischer Zuwendung? Vielleicht haben sie doch Sinn für Humor, die Pädagogikstudentinnen.
     
    Hildegard erzählte furchtbares Erlebnis, in Brüssel, Amselmännchen, das an ein totes Amselweibchen mit Zwirnsfaden gebunden war; klatschte vor ihr auf den Gehsteig, die Leute gingen weiter. Renate befreite das Tier.
     
    TV: Wegen des Golfkriegs wird nun Vietnam repetiert, damit der Zuschauer mal klarsieht. Korea kommt wohl auch bald dran. Afghanistan lassen wir mal weg. Das verwirrt nur.
    Oldenburg: Alte Pädagogikbücher, daß man auch von Kretschmann /Haase was lernen kann. Nicht immer alles neu machen wollen. Das Handauflegen, das Übers-Haar-Streichen. – Kretschmann/Haase: auch schon mit Zetteln gearbeitet.
     
    Der türkische Kellner im Ali Baba erklärte mir heute, wie’s da unten aussieht. 3 Mio. Flüchtlinge, die auf der Straße schlafen; seine Familie sei Gott sei Dank 2000 Kilometer von der Front entfernt. Er beklagte sich über die studentischen Stupiditäten in Oldenburg. Er hatte an mir einen verständnisvollen Zuhörer, derweil meine Suppe kalt wurde.
     
    Hauptthema aller Medien im Augenblick die deutschen Rüstungslieferungen. Die Presse ist da aber genauso schuldig geworden wie die Regierung, denn sie hätte als öffentliches Kontrollorgan rechtzeitiger und lauter bellen müssen. Oder haben sie denn geschlafen? Sonst hören sie doch die Flöhe husten?
    Es werden Listen herausgegeben mit Namen der Firmen, die Waffen geliefert haben. Natürlich nur deutsche.
    Die Israelis haben bekanntgegeben, sie werden Saddam H. ermorden, wenn er mit Gas kommt.
    Der aufgelöste Genscher. – Kohl mit seinem stereotypen Grinsen läßt sich nicht mehr sehen. Eben hat er die Wiedervereinigung so schön hingekriegt, und nun das.
    Ich kann gegen S. H. keinen Haß empfinden. Ich sehe ihn wie eine menschliche Warze, die weggebrannt werden muß.
     
    Hildegard geht von
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