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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Autoren: Walter Kempowski
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wandernden Lichtpunkten. Damit kann doch kein Mensch etwas anfangen.
    40 000 Einsätze hätten die Alliierten bereits geflogen. Kein Versuch, die Schwierigkeiten zu erklären, die sogenannte Logistik, was alles dazu gehört. Jede Brücke nehmen sie aufs Korn und jede Fabrik.
    Die Landkarten sind gelb eingefärbt (Wüste!). Nur bei 3Sat sind sie grün (Fahne des Propheten).
    Es wird erwähnt, daß die B-52-Bomber 4000 Kilometer entfernt aufsteigen, auf einer Insel. Wem die wohl gehört? Sprachunklarheiten: Alliierte oder Koalition?
    Verbündete?
    Es fehlen auch genaue historische Angaben, Grafiken, auf denen die Entwicklung dargestellt wird, um Ursachen und Auswirkungen zu verdeutlichen. Statt dessen beißen sie sich in Shows an Schaukämpfen fest, die der Profilierung der Teilnehmer dienen; nicht der Information, sondern leckeren Formulierungen.
     
    X:«Ich war vorige Woche in Washington …»
    Y:«Toll!»
     
    Warum werden die Tatsachen nicht sauber herausgearbeitet und wie auf dem Schachbrett gegeneinandergesetzt? Statt dessen fuchteln die Leute im Nebel herum.
    Irgend jemand sagt plötzlich: Die Deutschen haben die schärfsten Gesetze gegen die Ausfuhr von Kriegsgerät. Bumms, alles ist verdutzt.
    Im Zeitalter der Computer müßte es doch möglich sein, quasi auf Knopfdruck Tatsachen mit anderen Realitäten zu vergleichen. Wir werden mit Meinungen abgespeist und mit Meinungen eingedeckt.
    Sehr selten wird erwähnt, wieviel Einwohner der Irak z. B. hat. Zahlen.
    Dispute können einsetzen, wenn es darum geht, Schlüsse zu ziehen aus Tatsachen.
    «Guter Kenner streitet nicht», heißt es bei Laotse. Brüllen müßte er.
    Erörterungen stünden uns gut an.
    Auch wird kaum mal jemandem genügend Zeit gegeben, seine Gedanken in Ruhe darzulegen. Sprechen tun die Leute alle mit der ständigen Angst im Nacken, daß man sie unterbricht. Ahnung hat niemand.
    Eine aufgeregte Frau rief mich an, sie wolle in Bremervörde eine Demonstration gegen den Krieg veranstalten, ob ich auf der Abschlußkundgebung sprechen will?
    Schießen sie denn da schon um die Ecken?
    In unseren aufgeklärten Zeiten halten sie es für möglich, daß die Wünsche eines ganzen Volkes auf einen Schlag in Erfüllung gehen, auch wenn sie alle in verschiedene Richtung durcheinanderschwirren. Das nenne ich«Glauben».
     
    Ein«Konzert gegen den Krieg»wird in der Hochschule plakatiert. Konzert für Maschinengewehr und Orchester. Antikrieg kann leicht in Krieg ausarten. Muß ja eigentlich, logisch wär’s. Die Gandhi-Latschen sind ausverkauft, wurde mir heute erzählt.
     
    23 Uhr. – Jeder Hubschrauber macht einem angst. Als ob sie was suchen. Was hier übers Haus rüberfliegt, ist meistens vom ADAC.
    Der Mordslärm von der Autobahn. Die sägen sich in die Erde hinein.

Nartum Di 5. Februar 1991
     
    Anbiederung der Süssmuth. Wir wissen das alles doch längst. Man müßte sie mal ausflöhen, da träte allerhand zutage.
    In den Nachrichten gestern: Es seien nicht 1½ Mia. Liter Öl in den Golf geflossen, sondern nur 500 Mio.
     
    Enzensbergers Aufsatz über Saddam = Hitler im«Spiegel»wird von Augstein als brillant bezeichnet. Enzensberger sagt, die Deutschen hätten immer angenommen, bei Hitler handele es sich um ein absolut singuläres Ereignis. Ja? Haben sie das? Ist es das? Werden sie die Meinung ändern? Was ist mit Pol Pot? Sitzen die bei Kaffee und Kuchen zusammen? Mao wird darüber ganz vergessen. Und Idi Amin, der seine Untertanen den Krokodilen vorwarf.

Nartum Mi 6. Februar 1991
     
    Heute vom Verlag erfahren, daß«Sirius»erst wieder am 15. 2. lieferbar ist. Früher hätte mich eine solche Nachricht rasend gemacht. Keine einzige Zeitungsanzeige. Keinerlei Reklame.
     
    Erklärung, was es für verschiedene Minen gibt. Wir werden genauestens informiert:
    • normale
    • Holzminen
    • solche, die nur auf schwere Panzer reagieren, ihnen nicht viel anhaben können, aber Laufketten zerstören, und die Insassen stoßen sich den Kopf
    • Springminen, die 2 Meter hoch springen und erst dann detonieren, mit Verzögerungszünder
    Man kann sich gar nicht genug über den Erfindungsreichtum der Menschheit wundern.
    Gegenmaßnahmen der Amerikaner.
    Reise nach Amerika abgesagt, Wellershoff vorgeschlagen, Vesper oder Harig.
    «Dog Days»kam, Leseexemplar, mit nettem Brief von Keele.
    Alexander Sovtschick stood at the gate. He continued to watch even after his wife Marianne had driven her VW Golf down the lane between rows of poplars and, chased by the
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