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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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prüfend vom Tisch zum Herd und wieder zurück.
    Die Abendsonne scheint durch das Küchenfenster. Mein Vater hebt den
Deckel des Topfes an, ein würziger Geruch strömt in den Raum. »Deine
Lieblingssuppe«, sage ich. Er habe großen Hunger, sagt er, und das hat er schon
lange nicht mehr gesagt. Wir setzen uns an den Tisch, und während er und ich
die Suppe essen, hat meine Mutter das Kinn auf die linke Hand gestützt und
schaut uns an. Sie sieht uns an, wie eine Mutter ihre Kinder ansieht, die zum
ersten Mal ihren Gemüseteller leer essen. Erst als wir nach einer zweiten
Portion fragen, mein Vater mit einer Nudel im Mundwinkel, und sie noch einmal
Suppe verteilt hat, fängt sie an, ihre Portion zu essen, sehr langsam löffelt
sie den Teller leer.
    Später sitzen wir im Wohnzimmer am Tisch. Es gibt Rotwein
für meine Mutter, für meinen Vater und mich frische Limonade mit Eiswürfeln.
Ich mag es, die Eiswürfel mit den Zähnen zu zerbeißen, ich mag das dumpfe
Geräusch, das dabei in meinem Kopf entsteht. Mein Vater spielt mit den Tulpen
auf dem Tisch, mit den Händen schiebt er den herabgerieselten Blütenstaub zu
schmalen Linien. Manchmal steht meine Mutter auf, ihre Sandalen klacken auf dem
Holzfußboden, sie stellt sich ans Fenster und schaut in den Garten. Nur
vereinzelt tauchen hinter der Hecke die Scheinwerferlichter der Autos auf, die
Richtung Stadt fahren. Ich strecke meinem Vater meine Füße auf den Schoß, er
massiert mir die Fersen, wie er es immer getan hat. Meine Mutter beobachtet
uns. Dann sagt sie zu ihm, sie habe sich Gedanken gemacht, sie habe eine Idee
für seinen Geburtstag, es sei so schön, dass er seinen Geburtstag zu Hause und
mit uns verbringen könne. Die Idee wolle sie noch nicht verraten, eine
Überraschung solle es sein. Sie sieht mich an und ich nicke, sage »genau, eine
Überraschung«, ich schüttele Vaters Hände von meinen Füßen. Er nimmt einen
Schluck von der Limonade und sagt: »Ich freue mich sehr, wieder bei euch zu
sein.« Er streicht meiner Mutter mit dem Handrücken über die Wange. »Eine
Überraschung«, wiederhole ich und erinnere mich daran, wie meine Mutter
Lampions mit nach Hause brachte und ich sie fragte, was wir feiern würden.
    Morgen wolle er die Hortensie vor das Haus pflanzen, jetzt, wo der
Blumentopf kaputt sei, sagt mein Vater, vielleicht neben die Terrasse, es wäre
doch schön, wenn wir sie von ihr aus sehen könnten, in seiner Stimme ein
fragender Ton. Ich denke, dass es ihm jetzt wieder gut geht, und vergesse die
Worte meiner Mutter, die sie immer wieder während der letzten vier Monate vor
sich hin gemurmelt hat.
    Ich bin müde. Als ich im Schlafanzug noch einmal ins
Wohnzimmer komme, liegt vor meiner Mutter auf dem Tisch ein aufgeschlagenes
Buch. Sie sieht auf und sagt, jetzt werde alles besser. Als ich in mein Zimmer
gehe, sehe ich meinen Vater im Bad, er putzt sich die Zähne, fährt sich mit der
Hand über sein Kinn und den Bart, den er länger trägt als sonst.
    DAS POLAROID HABE ICH mit
Tesafilm auf das Armaturenbrett über dem Beifahrersitz geklebt. Die Adresse
darauf habe ich mir eingeprägt, sage sie mir immer wieder vor wie ein Mantra.
Auf dem Beifahrersitz liegt ein Atlas, in den ich mit einem roten Filzstift die
Route eingezeichnet habe. In der Form eines rechten Winkels führt sie von
Deutschland an die französische Atlantikküste. Ich folge auf der Autobahn
intuitiv den Schildern Richtung Nordwesten, in den Atlas schaue ich nie.
    Vor vier Tagen war ich das erste Mal bei meiner Mutter
wegen des Briefes. Ich klingelte und trug mein Fahrrad über der Schulter die
Treppen hinauf, wollte es nicht vor dem Haus oder im Gang stehen lassen. Es ist
ein türkisfarbenes Rennrad mit einem goldenen, geschwungenen Schriftzug auf der
Stange, ich habe lange dafür gespart. Ich stellte das Fahrrad in den
Wohnungsflur, wo neben unausgepackten Taschen noch eine zusammengefaltete
Luftmatratze und ein Korb standen, dazwischen auf dem Boden feine Spuren von
Sand. Seit einiger Zeit fährt meine Mutter regelmäßig in den Urlaub. Sie packt
Kleider für Anna, sich und ihren Freund in Taschen, lässt das Auto in der
Werkstatt durchchecken und hinterlässt mir eine Nachricht auf dem
Anrufbeantworter. »Wir sind zwei Wochen weg, ich hoffe, es geht dir gut.«
Manchmal bekomme ich danach eine Postkarte aus Spanien, Italien,
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