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Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht

Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht

Titel: Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
Autoren: Melissa Marr
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Melodie aufhörte. Aber es funktionierte nicht.
    Sie konzentrierte sich auf das Geräusch ihrer eigenen Schritte auf dem Gehweg, auf die vorbeifahrenden Autos, eine Stereoanlage mit zu stark wummerndem Bass, auf alles, nur nicht auf dieses leise Klingeln. Als sie in die Crofter Street einbog, brach sich das bunte Licht von der Neonreklame des Crow’s Nest im Fell der Elfe und ließ ihre Augen rot aufblitzen. Wie die restliche Innenstadt von Huntsdale zeugte auch das Gebäude mit dem düsteren Club davon, wie weit die Stadt inzwischen heruntergekommen war. Fassaden, die früher vermutlich einmal schön gewesen waren, trugen nun verräterische Zeichen von Alterung und Verfall. Aus den Rissen im Gehweg und auf den aufgegebenen Grundstücken wucherte das Unraut büschelweise. Draußen vor dem Club, ganz in der Nähe des stillgelegten Güterbahnhofs, kam sie an Leuten vorbei, die mit ziemlicher Sicherheit nach Drogen Ausschau hielten – nach irgendetwas, ganz egal was, womit sie sich zudröhnen konnten. Ashlyn durfte dieser Versuchung nicht nachgeben, beneidete sie aber ohnehin nicht um ihre künstlichen Zufluchtsorte.
    Ein paar Mädchen, die sie kannte, winkten, ohne sie jedoch zum Bleiben aufzufordern. Ashlyn nickte ihnen zu und verfiel in ein normales Gehtempo.
    Fast da .
    Dann trat ihr Glenn, einer von Seths Freunden, in den Weg. Er hatte so viele Piercings im Gesicht, dass sie sie hätte anfassen müssen, um sie alle zählen zu können.
    Das Wolfsmädchen lief hinter ihr auf und ab und zog immer engere Kreise um sie, bis der Gestank ihres Fells so penetrant wurde, dass es Ashlyn würgte.
    »Sag Seth, seine Boxen sind gekommen«, begann Glenn.
    Das Wolfsmädchen, das immer noch auf allen vieren lief, stupste Ashlyn mit dem Kopf an.
    Ashlyn stolperte nach vorn und musste sich an Glenns Arm festhalten, um nicht hinzufallen.
    Er streckte seine Hand aus, als sie versuchte, ihre Balance wiederzugewinnen. »Alles okay?«
    »Bin wohl zu schnell gerannt« – sie rang sich ein Lächeln ab und tat so, als wäre sie aus der Puste. »Um warm zu werden.«
    »Aha.« Den ungläubigen Blick, mit dem er sie bedachte, kannte Ashlyn nur allzu gut.
    Als sie an ihm vorbeigehen wollte, um die Abkürzung zu Seth zu nehmen, öffnete sich die Tür vom Crow’s Nest. Disharmonische Musik drang auf die Straße. Der Rhythmus, den das Schlagzeug angab, war sogar noch schneller als ihr rasender Puls.
    Glenn räusperte sich. »Seth mag es nicht, wenn du da durchgehst.« Er zeigte auf die dunkle Gasse, die an dem Gebäude entlangführte. »Allein. Er tickt aus, wenn – du weißt schon, wenn dir was passiert.«
    Die Wahrheit konnte sie ihm nicht sagen: Ihr machten nicht die Jungs Angst, die in dem Durchgang standen und rauchten, sondern die knurrende Wolfselfe zu ihren Füßen. »Ist doch noch früh.«
    Glenn verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf.
    »Na gut.« Ashlyn entfernte sich wieder vom Eingang der Gasse, von der Abkürzung, die sie schneller in die Sicherheit von Seths Stahlwänden gebracht hätte.
    Glenn behielt sie im Auge, bis sie wieder ganz auf die Straße hinausgetreten war.
    Das Wolfsmädchen schnappte nach Ashlyns Fußgelenken, bis sie ihrer Angst nachgab und das restliche Stück bis zum Güterbahnhof trabte.
    Auf Seths Grundstück angekommen blieb Ashlyn erst einmal stehen, um sich zu sammeln. Seth war eigentlich ziemlich cool, aber trotzdem flippte er manchmal aus, wenn sie so verstört war.
    Das Wolfsmädchen heulte auf, als Ashlyn die letzten Meter zum Eisenbahnwaggon zurücklegte, aber das kümmerte sie nicht, hier nicht.
    Seths Waggon war toll, und zwar aus allen möglichen Gründen. Wie könnte es mir hier schlechtgehen? Von außen war er mit Bildern bemalt, die stilistisch gesehen das ganze Spektrum von Anime bis hin zu abstrakter Malerei durchliefen. Besonders gefiel ihr, dass sie ineinander übergingen, wie bei einer Collage, die den Betrachter aufforderte, einen verborgenen Sinn in der farbenprächtigen Bilderflut zu erkennen. In einem der wenigen wärmeren Monate hatte sie mit Seth in seinem sonderbaren Garten gesessen, dieses Kunstwerk betrachtet und begriffen, dass seine Schönheit nicht in der Abfolge der Bilder, sondern in der ungeplanten Harmonie des Ganzen lag.
    So wie wenn man mit Seth zusammen war.
    Doch nicht nur Gemälde schmückten den Garten: Wie künstliche Bäume sprossen überall auf dem Gelände Metallskulpturen aus dem Boden, die Seth im Laufe der letzten Jahre kreiert hatte.
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