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Sommerkuesse

Titel: Sommerkuesse
Autoren: Sara Ryan
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habe nicht viel davon für die Haare der Kaiserin gebraucht. Sie liegt auch unter dem Pulli.
    Ich studiere Archäologie. Das sind bloß Artefakte.
    Dann schlage ich das Ringbuch wieder auf und blättere zu einer leeren Seite vor. Seit Battle und ich nicht mehr zusammen sind, habe ich viel Bratsche gespielt und fast überhaupt nicht mehr gezeichnet – außer fürs Seminar. Ich lege den dicken Zopf und die Kaiserin aufs Bett und beginne, sie zu skizzieren.
    Im Grunde ist der Zopf bloß ein Muster. Feinste Farbabstufungen, ineinander verwobene Flechten, in denen sich das Licht fängt. Wenn ich die Augen zu einem schmalen Schlitz zusammenkneife, gelingt es mir zu vergessen, dass sie vom Kopf des Menschen stammen, den ich liebe.
    Wenn da nicht der fast unmerkliche Duft nach Lavendel wäre.

    Plötzlich hämmert es laut gegen meine Tür. »Im Namen des Gesetzes – aufmachen!« Es ist Katrina.
    »Sekunde.« Ich raffe den Zopf und die Kaiserin zusammen und werfe sie in die Schublade. »Okay. Kannst reinkommen. Was ist los?«
    »Ha! Noch gar nichts, aber gleich ist hier die Hölle los. Weil wir nämlich einen Sabotageakt erster Güte begehen. Und mit ›wir‹ meine ich dich und mich und Battle – und komm mir jetzt bloß nicht damit, dass du dich nicht traust. Ich hab eure Faxen nämlich dicke. Du gehst jetzt sofort los und schleifst sie her, und wenn du dich weigerst, stelle ich mich hierhin und singe so lange ›Climb every mountain‹, bis dir der Kopf platzt.«
    »Ich dachte, du musst dieses Mega-Computerprogramm fertig schreiben«, sage ich.
    »Tja. Da hast du falsch gedacht, kleines Fräulein! Das alles hab ich inzwischen weit hinter mir gelassen. Carl Sutter, die hässliche Kröte, kann mich mal an meinem fetten, haarigen weißen Arsch lecken!«
    Ihre Augen sind rot unterlaufen mit dunklen Ringen darunter und ihr Haar ist verfilzt. Das T-Shirt mit der Aufschrift »Hätte ich gewusst, dass Enkel so viel Spaß bringen, hätte ich eine Generation übersprungen« sieht aus, als würde sie es seit Tagen tragen.
    »Sag mal, wann hast du eigentlich das letzte Mal geschlafen, Katrina?«
    Sie schaut auf ihre Armbanduhr mit dem riesigen Digitaldisplay. »Vor siebenunddreißig Stunden, dreiundzwanzig Minuten und vierzehn – fünfzehn – sechzehn – Sekunden. Jetzt siebzehn! Wieso fragst du? Du solltest schon längst losgerannt
sein, um Battle zu holen. Climb… eeeeeee-vr’y mount-ain! Ford… eeee-vr’y streeeeeam! «
    Überall im Gang werden Türen aufgerissen. »Maul halten!«, brüllt jemand.
    »Wahrscheinlich hat es keinen Sinn, wenn ich dich bitte, dich abzuregen, oder?«, frage ich.
    »Gar keinen! Sehr gut beobachtet! Du! Bist! So! Eine! Brillante! Beobachterin! Das! Ist! Unglaublich!« Sie sieht aus, als wäre sie einem durchgeknallten Linda-Barry-Comic entsprungen.
    »Was hast du für Drogen genommen?«
    »Keine! Ich bin einfach naturbreit! Vom Leben! Von Amerika! Holst du Battle jetzt endlich her, oder was? FO-LLOW EEEEV’RY RAIN-BOW!!«
    Katrina kann nicht singen. Überhaupt nicht.
    »Sei doch wenigstens für eine Sekunde leise! Was geht denn ab?«
    »Was geht ab? Was geht ab? Ich gehe gleich ab! Wusssch ! Wie eine Rakete!«
    »Sag mal, ist das irgendein komischer Trick, um mich dazu zu bringen, mit Battle zu reden?«
    »Es ist immer dasselbe. Ich, ich, ich, ich. Warum glaubst du, dass es immer nur um dich geht? Hä? Wir haben nicht viel Zeit, Baby! Carpe Carpem – pflücke den Karpfen!«
    »Und warum gehen wir nicht zusammen zu Battle?«
    »Weil irgendjemand den Proviant besorgen muss! Ich bin schon unterwegs! Also – wir treffen uns in zehn Minuten bei mir. Und zwar mit Battle! Oder ich komme wieder, und dann singe ich Lieder von John Denver!«
    Sie stürmt aus dem Zimmer.

    Und jetzt?
    Selbst wenn ich Katrinas Laune, die anscheinend von irgendeinem psychotischen Anfall herrührt, nachgebe – es ist Mitternacht. Battle schläft wahrscheinlich.
    Tja, dann wirst du sie wohl wecken müssen !, höre ich Katrinas Stimme in meinem Kopf.
    Verdammt – was soll’s? Was hab ich zu verlieren?
    Sie kann ja schlecht noch mal mit mir Schluss machen.
    Deus ex Katrina.
     
    Sei einfach ganz normal, denke ich, als ich an die Tür klopfe. Aber mein »verräterisches Herz« hämmert so laut, dass es Poe von den Toten wecken würde.
    Die Tür geht auf. Sie hält das Buch in der Hand, das ich ihr geschenkt habe.
    »Hi… hab ich dich geweckt?«
    Sie schüttelt den Kopf. Ihr Haar ist gewachsen. Sie hat jetzt fast einen
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