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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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Morgengrauen. Irgendwann setzte sich Mike neben mich, wir besprachen die Tour zu »Goldenes Leben«, meinem achten Studioalbum, dessen vierzehn Songs nur von zwei Akustikgitarren begleitet wurden, gespielt von uns beiden. Auf diese Platte war ich schon stolz, bevor sie an den Handel ausgeliefert wurde. Das Gefühl völliger Freiheit, das mich seit diesem denkwürdigen Klassentreffen nicht mehr losließ, quoll aus jedem Akkord, jeder Textzeile. »Goldenes Leben« war meine persönlichste Platte, und ich wusste, dass es ein Album war, das diejenigen, die dafür empfänglich waren, direkter erreichen würde als jedes zuvor. Ich freute mich auf die ersten Auftritte, und die Tatsache, dass ich mit Mike allein auf der Bühne stehen würde, war dabei das i-Tüpfelchen.
     
    Gegen drei gab es niemanden mehr in der »Goldküste«, der Wörter mit mehr als zehn Buchstaben hätte fehlerfrei buchstabieren können. Amüsiert beobachtete Karen Michael und Nicole, die vor dem Tresen standen und sich immer wieder annäherten und voneinander entfernten wie zwei gleichpolige Magnetenden. György murmelte etwas Unverständliches in seiner Muttersprache vor sich hin, Marcus schlief mit auf dieBrust gestütztem Kinn, meine Mutter tanzte allein und mit geschlossenen Augen zu »The Load-Out« von Jackson Browne, während Mike selbstvergessen Luftklavier spielte. Und dann erhob sich mein Vater abermals, schlug mit einem Messer gegen das Sektglas meiner Mutter. Es zersprang. Klaus-Peter hüstelte und starrte auf die Glassplitter. Sofort ging Michael hinter den Tresen und schaltete die Anlage aus.
    »Ich muss das einfach sagen«, erklärte mein Vater. Er sah in die Runde, was ihn zu dieser fortgeschrittenen Feierstunde auch schon einige Mühe kostete. Augenblicklich herrschte Ruhe. Luise hielt in der Drehung inne, verschränkte die Arme vor dem Bauch und sah ihren Ehemann liebevoll an.
    »Wir alle haben viel erlebt, auch viel Schlimmes.« Er warf Sonja einen Blick zu, die sich mit beiden Händen an Mikes Oberarm festhielt und den Eindruck erweckte, in dieser Position auf ewig verharren zu wollen.
    »Aber jetzt sind wir hier« – er vollführte eine etwas linkische Handbewegung, doch die Geste war nicht schwer zu interpretieren. »Zusammen. Ich wollte nur sagen.« Er sah zu meiner Mutter, die lächelnd nickte. »Und ich finde. Na ja. Ich finde.« Er nahm einen Schluck Bier, wischte sich dann mit dem Handrücken über die linke Wange. »Wir haben das verdient. Es ist
gut
so. Das wollte ich nur sagen.«
    Er setzte sich, dafür standen diejenigen auf, die das noch konnten, und applaudierten. Michael schaltete die Anlage wieder ein.
    »Oh, won’t you stay just a little bit longer«, sang Jackson Browne.

Epilog: Dossier
Thomas Müller
     
     
    (György Rákosi, 2011, nachgereicht)
     
    Geboren am 24. November 1965 als Sohn von Rita Müller, Kindergärtnerin, Vater unbekannt. Abitur am Walter-Gropius-Gymnasium 1984, Gesamtnote 3,1. Danach Studium der Informatik (abgebrochen, 2. Semester), Psychologie (abgebrochen, 4. Semester), Lehramt/Grundschule (Exmatrikulation wegen versuchten Prüfungsbetrugs, 3. Semester). 1990 Firmengründung (Computervertrieb), erfolgreiche Geschäftstätigkeiten vor allem in den neuen Bundesländern. 1994 Erwerb eines Vier-Hektar-Grundstücks südlich von Berlin, Hausbau, Kauf einer hochseetüchtigen Yacht und von insgesamt acht PKW, darunter zwei Bentleys. 1996 Insolvenz, Strafantrag wegen Kreditbetrug, Veruntreuung, Konkursverschleppung und Bilanzfälschung. Zweieinhalb Jahre Haft (auf Bewährung aufgrund der positiven Sozialprognose). Im selben Jahr Eheschließung mit der Steuerfachgehilfin Meike Hinrich, Geburt des Sohnes Moritz, kurz darauf Scheidung. Bewährung 1997, ausgesetzt wegen Leasingbetrug und Urkundenfälschung (sechs Monate, Gesamtstrafe zwei Jahre, neun Monate), Haftantritt (JVA Moabit) im Herbst 1998, Entlassung im März 2000. Einlieferung der Mutter in eine vollstationäre Einrichtung auf Betreiben des Sohnes, der danach die Eigentumswohnung in Neukölln bezieht. Zu dieser Zeit tätig als Versicherungsvertreter für Gerald Herbing, abermalige Ermittlungen wegen Veruntreuung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung, Freispruch (Verfahrensfehler).
    2002 Gründung eines belletristischen Verlags, Konkurs 2003. Es folgten eine Filmproduktionsfirma, ein Institut fürvegane Ernährung, ein Massagestudio in Potsdam, zu dieser Zeit mehrere Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung und räuberischer
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