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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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Suite, aber im Weggehen sagte ich noch zu Henning:
    »Danke.«

Autolyse
     
    Sonja hielt den Gurt vor ihrer Brust umklammert und starrte nach draußen in die Julisonne. Der Staub, den mein Auto aufgewirbelt hatte, sank zu Boden, es roch nach gierig blühenden Sommerblumen, fauligem Wasser, Abgasen, kürzlichem Regen und diesem Zeug, mit dem man in der DDR die Dächer gedeckt hatte.
    »Ich halte das für keine gute Idee, dass du mitkommen willst«, sagte ich sanft und berührte ihre verkrampfte linke Hand, die den Gurt drückte.
    Sie seufzte laut und sagte nichts.
    Ich stieg aus. Die Hütten in dieser Kleingartenkolonie, die
Datschen
, bildeten eine geschlossene Reihe, gedrungene, durch Nach- und Anbauten verwachsen wirkende Häuschen inmitten von blühenden, gepflegten, aber etwas überladenen und deswegen unsauber erscheinenden Gärtchen, vor denen Mittelklasseautos parkten, hier und da ein teurerer Geländewagen, zwischendrin ein paar leere Bootsanhänger. Der starke Geruch des Wassers stammte vom nahen Kanälchen, einem Seitenarm, der zum zwei Kilometer entfernten See führte und die Kleingärten begrenzte. Eine Parade von Pappeln säumte die Kolonie auf der anderen Seite. Es herrschte Stille, etwa dreißig Meter links von mir aufsteigender Qualm markierte einen Grill, der soeben mit Brennspiritus, wie ich erschnüffelte, angefacht wurde. Irgendwo lief ein Fernseher, ansonsten war es ruhig, nachgerade beschaulich. Ich drehte mich kurz zu Sonja, die immer noch den Gurt festhielt, nickte ihr zu, ohne dass sie das wahrzunehmen schien, und machte mich dann auf die Suche nach der Laube.
    Ich fand sie rasch.
    Fast hatte ich erwartet, im Vorgarten einen Mast mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz-Fahne vorzufinden, aber ganz so ostalgisch gab sich Horst Markowski dann doch nicht. Er hielt sich da sogar eher bedeckt, wie ich feststellte, als ich vor dem niedrigen Zaun stand, der die hundert Quadratmeter Kleingarten umfasste. Die Fassadenfarbe des weißen Holzhäuschens blätterte, aber der Rasen war akkurat geschnitten, am linken Grundstücksrand blühten Sonnenblumen, Wildrosen und Wicken, auf der anderen Seite wuchsen Erdbeeren, Salat und Radieschen in kürzlich gejäteten Beeten. Auf der schmalen Veranda standen ein Klapptisch aus DDR-Produktion und ein Schaukelstuhl, daneben ein billiger Metallgrill, der bis zum Tor nach kalter Holzkohle und verbranntem Schweinefleisch roch. Immerhin lag auf dem Tisch ein
Neues Deutschland
, auf der Zeitung stand ein Aschenbecher, über dem sich eine feine, weißgraue Rauchsäule im lauen Lüftchen kräuselte. Horst Markowski saß, lag fast im Schaukelstuhl, den Kopf seitlich über der Lehne; er schnarchte leise. Über seine Beine hatte er eine speckige NVA-Decke gelegt, obwohl die Temperatur mehr als fünfundzwanzig Grad im Schatten betrug. Der noch glimmenden Zigarette nach musste er gerade erst eingeschlafen sein.
    Ich griff über das Türchen und entriegelte es leise, schlich dann zur Veranda, stellte mich so, dass ich keinen Schatten auf den schlafenden Mann warf. Die flächigen Muttermale an Hals und Gesicht, umgeben von Altersflecken auf blasser Haut, schimmerten braunrötlich in der Nachmittagssonne, aus dem Kragen seines dunkelroten Hemdes drängten die weißen Brusthaare, selbst in dieser Position wirkte der ehemalige FDGB-Funktionär stattlich, auch für sein Alter – er musste auf die achtzig zugehen.
    Als er jetzt kurz schnaufte und den Kopf leicht bewegte, bekam ich eine Gänsehaut. Aber er schlief weiter.
    Horst Markowski. Er hatte die Wiedervereinigung unbeschadet überstanden, sein Lebenslauf wies nicht den geringsten Makel auf, von der Parteilaufbahn abgesehen, aber die hatte ja nur bei wenigen zu nennenswerten Schwierigkeiten geführt, wenn sie nicht gerade als Inoffizielle Mitarbeiter spioniert, Geld veruntreut oder Schießbefehle erteilt hatten. Kurz nach der »Wende« war er pensioniert worden und ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Ursachen und Folgen seiner damaligen Versetzung weg von der Ostsee hatte György nicht ermitteln können; vermutlich waren die Akten vernichtet oder bereinigt worden. Diese Datsche hatte ihm schon zu DDR-Zeiten gehört – das Haus in Hohen Neuendorf, in dem auch Sonja gelebt hatte, war Anfang der Neunziger an die Erben der ehemaligen Besitzer zurückgefallen. Das Einzige jedoch, was hier noch an die Vergangenheit erinnerte, war das leichte Aroma des Ostens, das vermutlich nur ich wahrnahm. Außerdem war da ein
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