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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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Szenen deutlich mehr erkennen, und auch ohne unrealistische Detailvergrößerungs-Zaubertricks wie in Spionage-Verschwörungs-Blockbustern fiel die Gesichtszuordnung leicht. Der ganze Saal verfolgte den Marsch der besockten Füße, beobachtete, wie sich schließlich die Tür von Herrn Bonkers Zimmer öffnete. Wie damals schrien jetzt
die Sabines drei
, aber es war kein »Iihhh!«, das ertönte, sondern ein Ausruf echten Erschreckens, der Fassungslosigkeit, mit einem angstvollen Unterton. Ich zwinkerte kurz der rothaarigen Sabine zu, die mich anglotzte, als wäre ich Satan persönlich. Dann drehte ich mich wieder zur Leinwand, denn der Höhepunkt stand erst noch bevor.
    Keine Ahnung, wie György es geschafft hatte, an dieses Foto zu kommen. Nach der Schlussausblende des eigentlichen Films erschien jedenfalls ein Bild, von den französischen Beamten gemacht, die das Geschehen damals festgehalten hatten. Es zeigte Herrn Bonker am Baum hängend, dreißig quälende Sekunden lang, schwarzweiß, etwas unscharf und dadurch noch ernüchternder. Einige Leute stöhnten laut. Jemand direkt vor der Bühne japste. Gerry rief etwas Unverständliches, mit sich überschlagender Stimme. Er war der Erste, der im Abspann auftauchte, einer netten Zusammenstellung der Viten der Hauptfiguren des Films, effektvoll inszeniert, angelehnt an den Vorspann der ersten Star-Wars-Episode, das Foto von Herrn Bonker weiterhin im Hintergrund. Gerald Herbing, geboren am 18. Juni 1966, und dann eine Liste seiner Verfehlungen seit dem Abitur: Seitensprünge, Versicherungsbetrügereien, Verurteilungen, gescheiterte Ehe, Kontostand fett im Minus. Dann Henning. Die Sabines. Martina.Und so weiter. Nur Thomas fehlte, leider. Fast alle hatten sie schwarze Löcher in ihrer Vergangenheit, mal größere und mal weniger große, und bei den meisten zeigte sich deutlich, dass aus der vielfältig blühenden, sonnenbeschienenen Wiese, als die sie sich ihre Zukunft damals wahrscheinlich vorgestellt hatten, heute eine löchrige, unansehnliche Rasenfläche geworden war – wie der Strand bei Zamárdi, Ungarn, jedenfalls in der Verfassung, die ich in Erinnerung hatte.
    Es dauerte drei Minuten, endete mit Arndts tragischem Lebenslauf. Chrissies Krankengeschichte wurde nur verkürzt wiedergegeben und reichte lediglich bis zu ihrer Einlieferung; ich hatte meinen Manager gebeten, an dieser Stelle nicht weiter zu forschen. Meine Vita blieb ebenfalls ausgespart, und sie hätte gelautet: Falk Lutter a.k.a. Martin Gold, Popstar, recht reich, glücklich – und jemand, der sich selbst mag, der ein Leben lebt, das er liebt. Aber das war unnötig, denn erstens war es nicht zu übersehen und zweitens spielte das keine Rolle.
    Während ich dasaß und mir das anschaute, was ich inzwischen fast auswendig kannte, forschte ich in mir nach den Gefühlen, die diese herbeigesehnte und zugleich angstvoll erwartete Situation hervorrief, fand aber erstaunlich wenig. Eigentlich, stellte ich fest, hatte ich – mit Györgys Hilfe – nur den Doppelstrich über der Summe eingefügt; der Rechnungsbetrag stand hinter mir, im Saal des Mätressenschlosses. Vielleicht aber erkannten einige von ihnen erstmals, wie erschreckend negativ der Saldo ausfiel.
    Das Licht ging wieder an. Alle sahen entgeistert zu mir, sogar der DJ, der vermutlich nur ahnte, was hier soeben geschehen war.
    Dann sprang Gerry auf die Bühne, die Fäuste geballt, das Gesicht puterrot.
    »Du Sau!«, krähte er, stürmte auf mich zu. Kurz bevor er mich erreichte, erlangte wahrscheinlich der Versicherungsmenschin ihm die Oberhand, der dem wütenden und deutlich angetrunkenen Gerald ins Ohr flüsterte, was von seiner schmalen Restkarriere (er jobbte freiberuflich für die Agentur, die er mal selbst gegründet und dann furios mit Fehlspekulationen in den Sand gesetzt hatte) übrigbliebe, wenn er den berühmten Sänger vor nicht unbedingt wohlgesinnten Zeugen in eine tätliche Auseinandersetzung verwickelte. Er ließ die Fäuste sinken. Ich nickte ihm zu und stieg von der Bühne, praktisch direkt in die Verlierergruppe, ergänzt um Chrissie und Tine. Die beiden Frauen umarmten mich nacheinander, Tine bauartbedingt in Bauchhöhe.
    »Das war toll«, sagte sie. »Ich wusste gleich, dass du meinen Abend retten würdest. Nur die Art und Weise hat mich doch überrascht. Wow. Ich war mit einem Star in derselben Klasse. Jetzt kann ich endlich auch mal was Gutes über meine Schulzeit erzählen.« Sie tippte von schräg unten mit dem schmalen
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