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Sommerhit: Roman (German Edition)

Sommerhit: Roman (German Edition)

Titel: Sommerhit: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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weiterer Geruch, äußerst widerwärtig, aber sehr punktuell, von diesem Mann ausgehend. Ich dachte an verrottende Fleischabfälle und Hundekot in der Mittagssonne.
    Er sah fast friedlich aus; für einen Moment zweifelte ich beinahe daran, vor dem Mann zu stehen, der meine Schwester misshandelt und zu unfassbaren Dingen gezwungen hatte – aber er war es, ohne Frage.
    Markowski schlug die Augen auf. Er sah mich an, fest und direkt, ohne eine Spur von Irritation. Dann blickte er kurz zum Gartentor, wohl um zu prüfen, ob ich allein gekommen war.
    »Sie sind?«, fragte er müde – viel müder, als nach einem Drei-Minuten-Nickerchen zu erwarten wäre. Er griff nach der Zigarette, gönnte sich einen intensiven Zug, der mit kurzem, brachialem Husten quittiert wurde, und nahm mein Erscheinen ansonsten hin, als wäre es selbstverständlich.
    »Falk Lutter«, sagte ich gepresst. Das kostete mich einige Mühe, nicht nur, weil ich diesen Namen kaum noch benutzte, sondern weil ich plötzlich enorme Wut in mir spürte – und Angst. Mein Nacken kribbelte trotz der Hitze. Sonja hatte das hier nicht gewollt, und ich hatte ihr auch erst vor ein paar Tagen mitgeteilt, dass György ihren ehemaligen Pflegevater ausfindig gemacht hatte. Jetzt saß sie im Auto und fürchtete sich vermutlich genauso sehr wie ich in diesem Augenblick. Der Mann wirkte machtvoll, äußerst gelassen, als gäbe es nichts auf diesem Planeten, das ihm Angst machen könnte.
    Er nickte. »Lutter«, wiederholte er dabei, die Stimme noch immer belegt vom kurzen Hustenanfall.
    »Der Bruder von Sonja Lutter«, sagte ich leise.
    »Das dachte ich mir. Wie geht es Ihrer Schwester?«
    Dabei lächelte er. Es war einfach nur ein Lächeln, ohne erkennbare Boshaftigkeit, eigentlich ohne jede begleitende Mimik – so gut wie emotionslos. Markowski beugte sich vor und drückte die Zigarette umständlich im vollen Aschenbecher aus. Dabei rutschte die Decke von seinen Beinen.
    Er hatte nur noch eins, das andere Hosenbein war kurz unter der Hüfte vernäht.
    »Raucherbein«, erklärte er, meinem Blick folgend und wieder lächelnd. »Okklusion der Hauptschlagader, Gangrän, dann Autolyse, also Selbstverdauung – kein schöner Anblick. Es ist vor sieben Jahren amputiert worden. Das andere dürfte demnächst fällig werden. Drei oder vier Monate, wenn ich Glück habe. Wissen Sie, was
Madentherapie
ist?«
    Der Mann wartete meine Antwort nicht ab – ich hätte auch keine gewusst –, drückte sich recht behände hoch, seine Oberarme hatten den Umfang meiner Oberschenkel, und griff nach einer Krücke, die seitlich neben seinem Schaukelstuhl lehnte. Als er stand, drehte er sich wieder zu mir. Der Gestank wurde heftig, erschütternd. Er zog die Stirn kraus.
    »Also. Was wollen Sie?«
    Das war eine gute Frage, die mich vom Schock und der Angst ablenkte. Ich hatte ihn konfrontieren wollen, zur Rede stellen, aber in welcher Form und zu welchem Zweck, mit welchem Ergebnis, darüber hatte ich mir keine Gedanken gemacht. Als die Mitteilung von György eintraf, Markowski aufgespürt zu haben, hatte ich die Entscheidung, ihn aufzusuchen, noch für sinnvoll und schlüssig gehalten, aber jetzt … jetzt stand dieses Wrack vor mir, das bald keine Beine mehr haben würde, das trotzdem noch rauchte, in einem Kleingarten lebte und seine letzten, einsamen Tage zählte, die er vermutlich in einem trüben Pflegeheim verbringen würde. Markowskis Lächeln hatte nicht getrogen – es gab nichts mehr, das ihm Angst machen konnte, denn grausiger konnte es kaum mehr werden.
    Aber er hatte das Leben meiner Schwester zur Hölle gemacht, zu einer Hölle, in die sie nach wie vor gelegentlich eintauchte, zum Glück aber nur noch äußerst selten, was in der Hauptsache Mikes Verdienst und dasjenige ihrer prächtigen Söhne war. Markowski hatte sie fast vernichtet. Um seinen Spaß zu haben, wohl auch, um sich Vorteile zu verschaffen und in der Hierarchie aufzusteigen – und weil er es
gekonnt
, weil er die Macht gehabt hatte. Am Ende, und das Ende stand hier und jetzt direkt vor mir, hatte ihm das wenig genutzt. Das machte es fast noch schlimmer. Trotzdem war meine Wut plötzlich verraucht, und aus meiner Angst war eine seltsame kühle Gelassenheit geworden.
    Er humpelte zur Tür und verschwand in der Datsche, den Gestank nur teilweise mitnehmend, bei jedem Schritt kniff er schmerzhaft die Augen zusammen. Ich lauschte, wie er drinnen rumorte, eine Tür wurde geöffnet und geschlossen, dann hörte ich ihn
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