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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos
Autoren: E Schmidauer
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der Vater, der Ilse betrachtet. Wir sitzen unter Bäumen, der Vater schält einen Pfirsich für Ilse. Der Vater und ich unter Zypressen, im Rund des Theaters, auf einem Wiesenweg, der in die Hügel führt. Dass ich jung gewesen bin, denke ich, und ohne Schuld.
    Du sollst, schreibt der Vater in seinen Notizen, die ich in den Tagen nach dem Begräbnis zu Ende gelesen habe, du sollst zurückgehen in die Stadt, es ist deine Stadt. Du sollst dir verzeihen, ich bitte dich darum, und wenn du es kannst, auch mir. Du kannst immer zurückkommen, das weißt du, schreibt der Vater in seiner gleichmäßigen Handschrift, und du hast noch eine Reise gut.
    Im Schreibtisch des Vaters war ein Paket, zerknittert, eine Schleife darum gebunden, das hatte keiner aufgemacht. Was darin war, roch, immer noch, fremd und süß. Das war ein Rock, ein Kinderrock, in bunten Farben, in bunten Mustern, und eine Kassette lag dabei, die habe ich mir auf einem alten Kassettenrekorder, den der Vater noch irgendwo hatte, angehört. Wie aus einer Tiefe war da die Musik, es hat einer gesungen und ein anderer hat geantwortet, in langen wehen Tönen, Flöten und Trommeln und schnelle Rufe, das Stampfen von Füßen. Richard, sagte jemand, ein Knacken, ein Krachen und ein Rauschen im Hintergrund, einer lachte, und dann hörte ich die Stimme des Vaters. Stasi, hat er gesagt, hörst du das? So ist es, wenn die Arbeiter feiern. Alles Gute zum Geburtstag, Stasi, nächstes Jahr, der Vater hat gelacht, ich verspreche es, nächstes Jahr bist du dabei.
    Wie kann meine Seele, schreibt der Vater, siegreich der Göttin begegnen, siegreich ihr gegenübertreten? Sieben Tore der Verwandlung hat Inanna, die Königin des Himmels, durchschritten bei ihrem Abstieg in die Unterwelt, wo ihre göttliche Feindin und Schwester herrschte. Sieben Tore, und bei jedem Tor, schreibt der Vater, hat sie ein Stück ihrer Gewandung abgelegt. Die Krone der Ebene, den Stab aus Lapislazuli, die Lapislazulisteine von ihrem Nacken, die funkelnden Steine von ihrer Brust, den goldenen Ring von ihrer Hand, die Brustplatte, alle die Gewänder ihrer Majestät von ihrem Leibe. Nackt wird sie schließlich vor den Thron der Schwester gebracht, vor die sieben Richter, vor die Augen des Todes.
    Ablegen muss ich, schreibt der Vater, meinen Stolz, meine Kraft, meine Stärke, meinen Willen, mein Wissen, mein Lieben und mein Hassen. Als wäre ich der Erste und der Einzige, der diese Reise antritt. Werden da Falken sein?, schreibt er, Falken und ihr schriller Schrei.
    Im Park stehen immer noch die Linden, die Buchen, ein Nebel hängt in den kahlen Zweigen. Schnee fällt leise, in der Bibliothek knackt ein Feuer. Ich stelle mir vor, dass der Vater da ist, ich drehe mich nicht um.
    Türme aus Glas, habe ich Martin geschrieben, und dass ich die Erde suchen muss, und Stein und Gras und Wind.
    Bei meiner Ankunft in Selçuk war noch fast Frühling. Ich kann dir nichts zahlen, hat Ingrid gesagt, es geht nicht ums Geld, habe ich geantwortet. Der Vater hat mir Geld hinterlassen, das Haus auch, es ist immer deins gewesen, schreibt er. Ich weiß nicht, ob ich dort wohnen kann, ich muss das aber jetzt noch nicht wissen.
    Wenn du herausfinden willst, ob das etwas ist für dich, hat Ingrid gesagt, wenn du Kontakte knüpfen willst, wenn du dich einarbeiten willst, dann komm. Also gehe ich mit den Teams mit, die am Theater arbeiten, am Hadrianstempel, im Hafenbereich, im Serapeion. Bestandsaufnahmen, Restaurierung früherer Restaurierungen, Anastylose, als hätte sich nichts geändert. Ich weiß wieder, wie es gewesen ist in meinem ersten Sommer, die wilde Freude, die ich hatte. Der Vater fehlt mir an jedem Tag.
    In der Villa über dem Theater hausen Schlangen und immer noch kommen Dinge aus der Erde, tönerne Köpfe, Mosaike, Gefäße aus Glas, eine Waage. Aus der Hafennekropole bergen sie Skelette, einer sieht mich an aus Knochenaugen, siehst du, sagt Gabriele, die Wülste hier und hier, der war stark, der war kräftig, sehr männlich. Und dann, siehst du, die gebrochene Nase, und da sind ihm die Zähne geeitert und ausgefallen. Er hat aus dem Mund gestunken und auf einem Ohr war er taub und ist doch so stark gewesen, so kräftig.
    Abends, wenn die letzten Touristenbusse gefahren sind, gehe ich manchmal ins Artemision, dann ist es still dort. In einem violetten Schatten wartet etwas, immer noch. Wo die Göttin gelegen ist, steht das Wasser, und Gänse watscheln in Herden über das Gelände.
    Ingrid hat mir die Tagebücher
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