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Sommer in Ephesos

Sommer in Ephesos

Titel: Sommer in Ephesos
Autoren: E Schmidauer
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    Weil, hat mein Vater gesagt und die Brille hochgeschoben, weil es ein schöner Name ist.
    Was ist daran schön?, habe ich ihn gefragt, A-nasta-siii-a, das nimmt ja kein Ende, habe ich gesagt. Bis ich den Namen ausgesprochen habe, sind alle schon weg, die vielleicht danach gefragt haben, langweilig und altmodisch, habe ich gesagt.
    Mein Vater hat mich streng über den Rand der Brille hinweg angeschaut. Es ist ein schöner Name, hat er wiederholt. Die auferstehen wird, ist das nicht schön?
    Weil ich vor seinem Schreibtisch stehen geblieben bin, ich sah ihm gerne zu, wenn er las und schrieb und zeichnete, grün fiel das Licht über seine Schulter auf die Bücher, in denen er las, rotes Leder, braunes Leder und grauer Karton, blaue Buchrücken oder schwarze und aschweiße, braungelbe Blätter, ist noch was, fragte er, weil ich, von einem Fuß auf den andern tretend, noch immer vor seinem Schreibtisch stand, nein, sagte ich und ging und suchte meine Mutter, die sich dehnte in ihrem Studio, Kopf zum Knie, die Fingerspitzen bei den Zehen, die Beine gestreckt und in einer Linie am Boden, der schmale Rücken meiner Mutter. Wenn sie so, Brust und Bauch am Boden, die Arme wie anbetend, sich ergebend, auf dem hellen Parkettboden, weil sie das Haar hochgebunden hatte, sah ich ihre Halswirbel, Rückenwirbel unter ihrem Trikot, wenn sie so, wie in ein Gebet versunken, ihre Übungen machte, durfte ich sie nicht stören. Ich setzte mich auf den Boden und sah ihr zu, dehnen, strecken, hoch und nieder, Arabeske, Pirouette, Sprung.
    Meine schöne Mutter, die über die Oberfläche des Spiegels flog, ihre Waden waren hart, manchmal sah sie alt aus, wieso quälst du dich, fragte mein Vater. Wie soll ich denn sonst mit den Jungen mithalten, sagte sie, meine Mutter kniff ihre Augen zusammen und den Mund, dünnlippig plötzlich, wenn mein Vater sagte, wieso quälst du dich, du musst das nicht mehr tun. Das Bild meiner Mutter im Spiegel, wenn sie sich zu mir umdrehte, war sie eine andere.
    Manchmal setzte sie sich nach dem Training zu mir, sie schlüpfte in eine Jacke, zog dicke bunte Wollsocken über die Füße, ich mochte den Geruch nach Schweiß und Wolle, sie trank, gierig, ihr Wasser, eine halbe Zitrone auf einen Liter, was war in der Schule?, fragte sie, hast du gegessen?, wie war es bei den Großeltern?, gut, sagte ich, was heißt vorlaut?, fragte ich, wer sagt das, die Lehrerin, sagte ich, ich bin eine vorlaute Person, sagt sie, aber sie hat gelacht, als ich gesagt habe, also bin ich ja eigentlich leise.
    Manchmal tanzte die Mutter mit mir, wild, keine Pirouetten, keine Arabesken, wild und laut tanzten wir zur Musik, die in unseren Köpfen war oder die sie aufdrehte, so laut, bis der Vater kam, Eva, sagte er, das geht nicht, und sie sah ihn an, und die Musik tobte, er musste schreien. Ich höre euch bis hinunter, schrie er, was, schrie ich, was was was, ich warf mich ihm in die Arme, was was was, schrie ich, du regst das Kind auf, sagte der Vater, aber wenn ich mich ihm in die Arme warf, hob er mich hoch, tanzen, schrie ich, komm tanzen. Er sah mir in die Augen und lächelte, dann stellte er mich wieder auf meine Beine, später, sagte er, mach die Musik leiser, Eva, sagte er, und obwohl er nicht mehr schrie, hatte ihn die Mutter verstanden und drehte die Musik ab. Der Vater hat auch später nicht mit mir getanzt, dafür ist deine Mutter zuständig, sagte er, aber er erzählte mir, das weiß ich plötzlich wieder, die schönsten Geschichten, die mir je ein Mensch erzählt hat.
    Im Sommer waren wir allein, die Mutter und ich, der Vater war nicht da. In manchen Jahren verschwand er schon im Frühling, er kam zurück für ein paar Tage und brachte Geschenke, bunte Klimperketten mit blauen Augen, Seifen und weiche Tücher, die rochen fremd, und erzählte von weißen Steinen und Störchen und brennenden Städten. Die aufgeregten Stimmen der Eltern, auf dem Flur standen Koffer, und das Kind, sagte der Vater, sie kann zu meinen Eltern, sagte die Mutter, eine Mutter gehört zu ihrem Kind, die Mutter lachte auf, hart. Wenn der Vater sagte, und das Kind, wo ist das Kind, wo soll das Kind hin, du kannst doch das Kind nicht alleine lassen, und du, sagte die Mutter, du bist doch immer weg, du bist doch der, der wochenlang, monatelang, das ist mein Beruf, wir leben davon, wenn ich dich daran erinnern darf, was ist mit meinem Beruf, dann lachte der Vater, Beruf, lachte er, wo ist er denn, dein Beruf.
    Die weiße Stadt, die brennende
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